Die Gilden von Morenia 03 - Die Wanderjahre der Glasmalerin
Beistand an. Er hatte während der letzten vierzehn Tage häufig mit seinem Vorfahr gesprochen, ihn als einen Verwandten angerufen.
»Jair, du hast mein Haus gegründet, und du hast eine Königslinie begründet. Welchen Versuchungen standest du gegenüber? Bei welchen Prüfungen hast du versagt?«
Hal betete lautlos, wiederholte die Fragen, die er sich seit zwei vollen Wochen stellte. Selbst als er sich zur lautlosen Betrachtung seiner Sünden niederließ, wurde er von Erinnerungen unterbrochen – von dem Aufblitzen von Marekas Augen im grauen Licht seines Raumes, vom Schimmern ihres zarten Armes, während er unter ihrem Spinnenseidegewand wisperte. Hal zwang sich, intensiver zu beten, aber er konnte die Hitze seines Fiebers nicht vergessen, die seltsame, berauschende Leidenschaft, die ihn auf so unerklärliche Weise übermannt hatte. Er verlor sich in der Erinnerung an Marekas Küsse, an die Hitze, die von ihrem Körper in seinen überging.
»Ihr habt nach mir geschickt, Sire?«
Hal riss sich von seiner Träumerei los. Pater Siritalanu, dessen Hände in smaragdfarbenen Ärmeln schwer an seinen Seiten herabhingen, stand direkt an der Tür. Der Priester war jung, so jung wie Hal – das war ein Grund, warum Hal den Geistlichen in sein Gefolge aufgenommen hatte. Wie die gesamte Adelspriesterkaste, war Siritalanu ein sehr entfernter Cousin.
»Ja, Pater. Danke, dass Ihr gekommen seid«, sagte Hal. »Ich möchte, dass Ihr mich in meinen Gebeten begleitet.«
»Gewiss, Sire.« Der Priester schloss akkurat die Tür hinter sich. Mit der gleichen Präzision, die Mareka eingesetzt hatte, als sie die Außenwelt ausschloss… Hal atmete geräuschvoll ein, als hätte er sich an seinen Erinnerungen verbrannt. Er würde die Handlungen des Priesters nicht mit denen des Spinnengildelehrlings gleichsetzen. Er würde sich nicht so ernsthaft versündigen.
Siritalanu trat neben das Betpult, strich mit der Hand über die Oberfläche der Bank. »Es ist gut, dass Ihr mich ruft, wenn Ihr beten wollt, Euer Majestät. Es ist gut, sich in dieser veränderlichen Zeit Eures Lebens an die Tausend Götter zu wenden. Die Götter wachen mit Stolz über alle ihre Kinder, aber sie freuen sich besonders, wenn wir uns in Zeiten der Feierlichkeiten an sie wenden.«
»Ich bin weit von zu Hause fort, Pater, und ich verspüre das Bedürfnis nach Trost.«
»Dann lasst uns beten.« Hal senkte vor dem jungen Priester den Kopf. »Lasst uns im Namen Fens, des Gottes der Gnade, beten.«
Hal verkrampfte die Hände um die Rückseite des Betpultes und versuchte, seine Gedanken zu sammeln. Er versuchte, sich daran zu erinnern, dass er der Verteidiger des Glaubens und mit diesem Amt gleichzeitig der gekrönte König ganz Morenias war. Die Tausend Götter sollten ihn mit Gunst betrachten. Mit Vergebung.
Der Priester flüsterte: »Heil Fen, Gott der Gnade. Verzeihe uns unsere Vergehen, Fen, und finde für uns einen Weg zurück zum Pfad der Rechtschaffenheit.«
Hal zwang sich, die Worte zu wiederholen und sich an ihrem vertrauten Klang festzuhalten. Er ließ sich von Siritalanu von Fen zu Kom, dem Gott des Mutes, zu Lum, dem Gott der Liebe, und schließlich zu Rit, dem Gott der Hochzeiten, führen.
Der Priester hatte natürlich Recht. Warum nicht Rits Hilfe anrufen, bevor Hal mit Berylina sprach? Warum nicht die Macht jedes einzelnen der Tausend Götter umarmen? Hal zwang sich, sich bei Siritalanus andächtigen Worten zu entspannen. Er ließ sich von dem Priester beschwichtigen, von den formellen Fürbitten, die über ihn hinwegspülten, die aus seinem Munde strömten. Es lag Trost in den Gebeten, Trost in dem demütigen Knien, Trost in dem vertrauten Schweigen der Tausend Götter.
Als Hal seine Anrufung Rits beendet hatte, ließ er den Kopf noch mehrere lange Minuten gesenkt. Siritalanu blieb ruhig neben ihm knien. Stille umgab die beiden Männer, verband, tröstete und beschützte sie.
Aber Hal wusste, dass er nicht ewig am Betpult bleiben konnte. Er konnte nicht in den mit Paneelen ausgekleideten Räumen bleiben, die ihm von König Teheboth zugewiesen worden waren, in dem Raum, in dem Rani ihn zurückgelassen hatte, in dem Mareka auf ihn zugekommen war. Die durch die Gebete gewobene, warme Decke des Trostes begann sich abzunutzen, und Hal zwang sich, tief durchzuatmen, als wäre er ein Soldat, der seine Ausrüstung schultert und in den Krieg zieht.
Es war an der Zeit. Es war an der Zeit, zu Berylina zu gehen.
Er stand zitternd auf und lehnte sich an
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