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Die Gilden von Morenia 03 - Die Wanderjahre der Glasmalerin

Titel: Die Gilden von Morenia 03 - Die Wanderjahre der Glasmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mindy L. Klasky
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ablenken.
    Natürlich kannte Jerusha die Regeln. Sie kannte sie ebenso gut wie Mareka. Sie wusste, dass heute Nachmittag ein Gremium von fünf Meistern die Lehrlinge befragen würde – Mareka, Jerusha und die vier anderen, die bereit waren, in den Status einer Gesellin erhoben zu werden. Jerusha wollte bemerkt werden – und wenn das ihre Punkte für die Reinheit beeinträchtigte, dann war es das Risiko vielleicht wert. Jerusha rieb Puder in ihre Wangen ein und sah Mareka finster und trotzig an. »Ich sehe dich im Gildehaus.«
    »Ja.« Im Gildehaus, wo in wenigen Stunden ihre Prüfung begänne.
    Mareka wartete darauf, dass Jerusha die Tür hinter sich schloss, und nutzte den zusätzlichen Moment, um ihre Gedanken zu konzentrieren. Erstens war sie eine Liantinerin. Zweitens war sie eine Tochter ihrer Eltern. Drittens war sie eine Schwester ihres Bruders sowie ihrer beiden Schwestern. Viertens war sie eine Cousine ihrer ganzen ausgedehnten Familie. Fünftens war sie eine Verehrerin der Gehörnten Hirschkuh. Sechstens war sie ein Spinnengildelehrling. Siebtens war sie eine Schülerin ihrer Meister. Achtens war sie eine Dienerin der Octolaris.
    Erstens, zweitens, drittens, viertens. Fünftens, sechstens, siebtens, achtens. Das Zählen beruhigte sie. Es bestand eine Ordnung in der Welt. Es hatte alles seine Richtigkeit in der Welt. Sie hatte gelernt. Sie kannte die Regeln. Sie würde zur Gesellin aufsteigen und dann den Weg zu Macht und Ruhm innerhalb der Octolaris-Gilde weitergehen.
    Die Sonne schien hell, als Mareka aus den Lehrlingsquartieren trat und eine schmale Hand hob, um ihre Augen abzuschirmen. Es war spät – zu spät, um in den Speiseraum zu gehen und sich den anderen Mitgliedern der Spinnengilde anzuschließen. Außerdem sollte sie fasten, ihren Körper ebenso für die Begegnung mit den Meistern vorbereiten wie ihren Geist. Sie war für diesen Tag von allen Lehrlingspflichten befreit, damit sie für die Prüfung gut ausgeruht wäre.
    Dennoch grollte ihr Magen, erinnerte sie an den zweiten Punkt des Morgengebets. Sie aß morgens immer etwas. Das war Gewohnheit. Das war Brauch. Es würde ihr kaum etwas nützen, mitten in der Prüfung vor Hunger ohnmächtig zu werden.
    Ihr Dilemma wurde gelöst, als sie ein Sklavenmädchen in der Ecke der Lehrlingsquartiere kauern sah. Das Mädchen wartete wahrscheinlich darauf, den Raum ausfegen zu können.
    »Mädchen!« Die Sklavin erschrak bei Marekas Blaffen. Sie konnte nicht viel älter als acht Jahre sein – jung, sogar für die Kindersoldaten, welche die Gilde von Amanthia erworben hatte.
    Und sie schien ein wenig denkfaul zu sein. Das Balg brauchte lange, um seine Stimme zu finden und zu fragen: »Spinnenherrin?«
    Die Närrin hatte noch nicht einmal die angemessenen Titel in der Gilde gelernt. Mareka durfte nicht Herrin genannt werden, solange sie nicht zur Gesellin erhoben war. Bis heute Nachmittag, nach der Prüfung. Nun, wenn die Sklavin so töricht war, dann sollte sie Marekas Befehl nicht in Frage stellen. »Mädchen, geh in die Küche, und hol mir ein wenig Kümmelkuchen. Und dann triff mich am vierten Kanal, zwischen den Riberrybäumen.«
    »Spinnenherrin, ich darf nicht!«
    »Was!« Mareka trat einen Schritt auf das Kind zu, während jähe Verärgerung ihre Gedanken beeinträchtigte. Wie konnte eine Sklavin es wagen, sich ihr zu widersetzen?
    »Lehrling Jerusha sagte, ich sollte Euch folgen. Sie sagte, ich sollte den ganzen Morgen hinter Euch hergehen und ihr alles berichten, was Ihr tut.«
    Jerusha! Spionierte sie aus! Als hoffte sie, irgendein Geheimnis von Mareka zu erfahren, für die Prüfung, die beiden Lehrlingen heute Nachmittag bevorstand, irgendeinen Vorteil zu erringen. Wie konnte sie es wagen! Nur weil sie die Tochter von zwei Webern war! Nur weil sie der Lieblingslehrling der Gilde war! Obwohl sie die Antwort auf ihre Frage bereits wusste, fragte sie die Sklavin: »Und ist Lehrling Jerusha deine Besitzerin?«
    »Nein! Ich gehöre der Spinnengilde!« Die Sklavin beeilte sich mit der Antwort. Sie war ihr irgendwann in der Vergangenheit eindeutig eingebläut worden. Kein Individuum besaß die Sklaven. König Teheboth würde solchen Handel mit Menschen nicht erlauben. Eher besaßen Gilden Sklaven. Gilden und Händlergesellschaften, und Gruppen von Soldaten. Sklaven waren wie Söldner, von Organisationen erworben, um einem Zweck zu dienen. Das zusammengekauerte Mädchen war der Gilde insgesamt verpflichtet, unterstand Marekas Befehl ebenso wie

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