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Die Gilden von Morenia 03 - Die Wanderjahre der Glasmalerin

Titel: Die Gilden von Morenia 03 - Die Wanderjahre der Glasmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mindy L. Klasky
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gelernt hatte, um sich Gesellin zu nennen.
    Als der trauervolle Schlag der Pilgerglocke durch die Nacht klang, merkte Rani, dass sie durch die Tränen, die ihre Wangen benetzten, nicht denken konnte, durch die Schluchzer, die ihre Kehle zerrissen, nicht vernünftig urteilen konnte. Ohne Gilde, ohne den Reichtum der Händler, ohne das Vertrauen ihres Königs war sie inmitten eines sterbenden Morenia sehr, sehr allein.

2

    Mareka Octolaris erwachte an ihrem letzten Tag als Lehrling in der Spinnengilde bereits vor Sonnenaufgang. Sie lag in ihrem Bett und lauschte den anderen Lehrlingen, die um sie herum schliefen. Früher Frühlingsregen war während der Nacht gefallen. Mareka konnte noch immer die Tropfen hören, die von den Dachvorsprüngen der Lehrlingsquartiere durch die Nadeln der langen, dünnen Zypressen fielen, welche das Gildehaus umstanden. Jemand regte sich außerhalb des Lehrlingshauses, schwere Schritte platschten durch eine Pfütze.
    Vielleicht würden die Kanäle zwischen den Riberrybäumen gefüllt bleiben. Vielleicht müsste Mareka die Esel nicht die Wendeltreppen ins Innere des Großen Brunnens hinuntertreiben. Vielleicht fände sie Zeit, an ihren Armbändern zu arbeiten, an der kunstvollen Stickerei, die sie nach ihrer Beförderung zur Gesellin tragen könnte.
    Eine Gesellin… Mareka hatte so lange gewartet, und nun stand ihr die Prüfung bevor. Es blieb nur noch ein langer Vormittag, ein Vormittag ohne Anforderungen, ohne Pläne, ohne Verpflichtungen. Dann, nachdem die Sonne ihren höchsten Punkt erreicht hätte, würde sie vor die Gildemeister gerufen, und es würde alles Wissen abgefragt, das sie während ihrer achtjährigen Lehrlingszeit gesammelt hatte.
    Acht Jahre.
    Sie wusste, dass sie den Vormittag mit Lernen verbringen sollte. Sie sollte die alten Texte noch einmal lesen und sicherstellen, dass es nicht ein einziges Detail der Octolaris-Spinne gab, das sie nicht auswendig hersagen konnte. Sie wollte jedoch nicht lernen. Sie wollte den Stickstich perfektionieren, den Meisterin Tanida ihr erst einen Tag zuvor gezeigt hatte – den Riberrysamen, hatte die Meisterin ihn genannt. Die Knoten mussten genau ausgeführt werden, fest, aber nicht so klein, dass sie durch die fein gewobene Spinnenseide hindurchstießen.
    Mareka schloss die Augen, rollte den Kopf auf ihrem harten Bett umher und bemühte sich, leise zu sein, um ihre Mitlehrlinge nicht zu stören. Sie würde die Riberrysamen in ihre Gesellinnen-Armbänder einarbeiten, die Knoten über ihre Stickerei verstreuen, wobei sie bunte, glänzende Fäden verwenden würde. Ihre Armbänder wären die schönsten, die eine Gesellin jemals getragen hätte. Sie würden im Licht des Gildehauses leuchten, in tausend Spiegeln widergespiegelt. Alle anderen Gesellinnen würden sie ansehen, und sie wären eifersüchtig auf ihre Handarbeit und von ihrer Phantasie beeindruckt. Sie würden sich wünschen, sie hätten den Spinnenseidefaden gehortet, sie hätten sich die Zeit genommen zu lernen, wie man die komplizierten Muster, die schwungvollen Stiche und die Knoten gestaltete…
    »Mareka Octolaris, wenn du nicht sofort aus diesem Bett aufstehst, wirst du einen Monat lang Ställe ausmisten!«
    »Was!« Mareka erwachte ruckartig und stieg aus ihrem Bett, während sie erkannte, dass sie wieder eingeschlafen sein musste. Bei den acht Hörnern der Hirschkuh, wie konnte sie? An diesem letzten Tag, den sie als Lehrling verbringen sollte?
    Die Sonne brannte trotz der frühen Jahreszeit heiß auf das Dach des Lehrlingshauses. Alle anderen Spinnengilde-Schwestern waren bereits fort. Alle außer Jerusha.
    »Wenn du lieber den ganzen Tag schlafen willst, wird sicher jemand anderer deinen Platz bei der Gesellinnenprüfung heute Nachmittag übernehmen.« Jerushas Haar war fest zu zwei Lehrlingszöpfen geflochten, wodurch die Haut neben ihren Augen gedehnt wurde. Sie wirkte verkniffen und unwohl, und sie legte ihre ganze üble Laune in ihre Worte.
    »Ich war schon vor der Dämmerung wach, Jerusha.«
    »Das sehe ich.«
    »Ich war…« Mareka schluckte ihre restliche Erklärung hinunter. Bei den acht Hörnern, es hatte keinen Sinn, vernünftig mit Jerusha reden zu wollen. Der andere Lehrling würde nicht zuhören. Jerusha hörte niemals zu. Sie war die Tochter zweier sehr mächtiger Gildemeister, zweier Weber, die neue Verfahren zur Herstellung der stärksten Spinnenseide perfektioniert hatten. Jerusha zögerte niemals, ihre Mitlehrlinge daran zu erinnern, dass sie der

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