Die Gilden von Morenia 03 - Die Wanderjahre der Glasmalerin
Spinnengilde gebunden, und du wirst tun, was wir dir sagen. Hör jetzt zu, damit du die Hymne lernst.«
Jerusha sang eilig die heiligen Worte, rasselte die lange Weise herunter. Mareka sah ihr widerwillig fasziniert zu, wollte ihrem Mitlehrling sagen, sie solle langsamer singen, solle sich Zeit nehmen, um sicherzustellen, dass die Octolaris von der Hymne, von den Worten beruhigt würden. Jerusha beendete jedoch den traditionellen Gesang und verneigte sich dann vor den Spinnen – ein Mal, zwei Mal, drei Mal, vier Mal.
Die Sklavin ahmte die Handlungsweise erst nach, als Jerusha sie fest in den Arm zwickte. Das Kind verneigte sich drei Mal und hob bei jeder Bewegung den Kopf, um ihre Peinigerin anzusehen. Drei Mal, nicht vier Mal. Jerusha fluchte leise und sagte: »Jetzt streck die Hand aus und schüttele den Riberryzweig. Lass sie wissen, dass du hier bist mit ihrer Beute.«
Das Kind blickte in den Käfig und wandte sich dann mit mitleiderregendem Blick an Mareka. »Bitte, Herrin! Ihr dürft mich nicht zwingen, die Spinnen zu füttern!«
Mareka trat vor. »Jerusha…«
Der andere Lehrling wollte keine Argumente hören. Sie richtete ihre zornigen Worte an die Sklavin. »Sei nicht dumm. Es gibt nichts zu fürchten. Ich füttere diese Spinnen seit Monaten jeden Tag. Ich würde mir nicht einmal die Mühe machen, es dir zu zeigen, wenn ich nicht so stark in meine neuen Pflichten eingebunden würde. Nun komm. Schüttele den Zweig.«
Die Finger der Sklavin zitterten so sehr, dass sie den Riberryzweig kaum mit der Hand berühren musste, um ihn in Bewegung zu versetzen. Dann sprang das Mädchen zurück, als würde sie von Horden hungriger Octolaris gejagt.
Jerusha nickte. »Dann brauchst du nur noch die Einstimmung zu vollenden.« Sie wackelte verdeutlichend mit den Fingern. Das Sklavenmädchen riss den Mund auf, begriff offensichtlich die Nuancen des traditionellen Musters nicht. Jerusha fluchte und wiederholte das Muster, ungeduldig darauf wartend, dass die Sklavin die Bewegung nachahmen würde. Zwei dicke Tränen fielen auf die Wangen des Mädchens, aber es gelang ihr, eine vage Nachahmung des traditionellen Schutzes auszuführen.
Jerusha sagte: »Und nun verfütterst du die Raupen an sie. Greif in den Korb.«
Mareka beobachtete fasziniert, wie das Sklavenmädchen der Aufforderung nachkam. Mareka hatte die Raupen seit acht Jahren jeden Tag über ihre Finger laufen lassen, aber sie war noch nie so im Einklang mit dem Krabbeln ihrer Beine, mit den winzigen, klammernden Füßen, während sie sich wehrten. Sie beobachtete, wie das Sklavenmädchen das schleimige Tier angewidert ansah, bemerkte die starre Entschlossenheit, während sie die Unterlippe zwischen die Zähne zog.
»So. Nun beuge dich über den Käfig. Weiter. Weiter.« Jerusha beugte sich ebenfalls darüber, griff nach dem Ende des Riberryzweiges. »Noch ein wenig weiter. Die Raupe muss nahe genug sein, dass die Spinne danach springen kann.«
Eine weitere kristallklare Träne löste sich vom Augenwinkel des Sklavenmädchens und lief schimmernd ihre Schwanentätowierung hinab. Mareka sah, wie das Sonnenlicht auf dieser Träne glitzerte, auf die eintätowierte Schwinge schien, und dann sagte Jerusha: »Beeil dich!«
Jerusha packte mit einer Hand den Hals des Mädchens und stieß sie an den Rand des Käfigs. Durch die Bewegung flog der gewobene Korb herab, und die Raupen fielen zu Boden und in nahestehende Käfige. Das Sklavenmädchen schrie auf, ein wortloses, entsetztes Wehklagen.
Später konnte sich Mareka vollkommen klar an alles erinnern. Sie sah die riesige Octolaris – fast zweimal so groß wie eine gewöhnliche Gildespinne. Und dann sah Mareka das Maul der Octolaris, die beiden schmalen Fänge, die im Handgelenk des Sklavenmädchens versanken. Sie sah die Spinne ihre Kiefer öffnen und schließen und wusste, dass das Tier Gift in die Wunde pumpte. Sie sah die Spinne nach einem anderen Halt suchen, erneut zubeißen, erneut pumpen, ein Mal, zwei Mal, drei Mal, vier Mal.
Das Sklavenmädchen schrie. Hoch und dünn schrie sie unter Schmerzen. Jerusha sprang vor und riss den Riberryzweig aus dem Käfig, um die Octolaris vom Unterarm der Sklavin zu fegen. Die Spinne landete im Käfig und wollte unter ihren Stein krabbeln, aber es gab keine Höhle mehr, keine Zuflucht mehr.
Schritte knirschten auf dem Kiesweg, als andere herbeiliefen, Lehrlinge, Gesellen und auch Meister. Mareka registrierte absurderweise, dass die versammelte Spinnengilde um die
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