Die Gilden von Morenia 03 - Die Wanderjahre der Glasmalerin
wild, und die Hunde sprangen nun einer nach dem anderen vom Waldboden auf den Felsvorsprung. Der Hirsch senkte den Kopf und versuchte, die Hunde vom Felsen zu stoßen, aber es waren zu viele. Noch während das gewaltige Geweih mit knirschendem Geräusch zustieß, gelang es einem der Hunde, hinter den Hirsch zu gelangen, um die Flanke des Tieres anzugreifen.
Und dann war die Jagd vorüber.
Der Hirsch fiel auf ein Knie, was es zwei weiteren Hunden ermöglichte, auf den Felsen zu springen. Der Chor des Gebells der Hunde stieg zu einem langen, anhaltenden Ton an, zu einem Ton, der in Hals Kopf widerhallte, anstieg, sich wandelte und abprallte, bis seine Knochen zu beben schienen. Hal erkannte benommen, dass die Laute der Hunde im Trompetenhall eines Horns eingefangen wurden. Der Jagdmeister befahl seinen aufgeregten Hunden, von der Beute abzulassen.
König Teheboth schritt zu dem Felsen und sprang mit der Behändigkeit eines viel jüngeren Mannes hinauf. Der König von Liantine hielt einen langen, glatten Speer in der Hand, eine Waffe, deren Spitze mit dem dunkelsten Eisen bewehrt war.
Der Hirsch hob ein blutendes Vorderbein an, als sei er entschlossen, diesen einen letzten Gegner abzuwehren. Die Bewegung zwang das Tier, den Kopf zu heben, seinen blutenden, muskulösen Hals zu einem mächtigen Bogen zu strecken. Hal glaubte, den unter der Haut des Hirsches pochenden Puls zu sehen, glaubte, das edle Herz immer wieder pumpen zu sehen, in dem Versuch, das verlorene Tier zu retten.
Teheboth zog den Arm zurück, wobei seine Muskeln unter der Anspannung seines Griffes zitterten. Dann stieß er zu und durchbohrte die Kehle des Hirsches.
Der Chor der Hunde nahm seinen frenetischen Gesang wieder auf, als die Knie des Hirsches einknickten und das große Tier auf der Felsplatte zusammenbrach. Der Jagdmeister blies noch drei Mal in sein Horn, und dann waren die helfenden Jungen zwischen den Hunden, zogen sie zurück, leinten sie an.
Hal beobachtete, wie zwei der Jungen vortraten, Jungen mit glatten, schimmernden Narben unter dem linken Auge. Die Sklaven hielten Eisenmesser in der Hand, mit denen sie König Teheboth ehrten, und dann machten sie sich an ihre Arbeit.
Hal war sich nicht sicher, ob das Herz des großen Hirsches noch schlug, als einer der Jungen es aus seiner Brust schnitt. Der Diener hielt das glänzende Herz hoch, woraufhin von den versammelten liantinischen Adligen ein anerkennender Ruf aufstieg. Der Junge beugte den Kopf und bot Teheboth das glitschige, karmesinrote Geschenk dar.
Teheboth nahm es wie ein siegreicher Eroberer an und hielt es hoch, woraufhin ein weiterer Ruf aufstieg. Dann warf der König das Herz zwischen das Rudel Hunde und grinste über das Jaulen und Knurren. Die Lunge folgte, die Leber und der Magen und als Letztes die Luftröhre des Hirsches.
Während von dem abkühlenden Fleisch noch Dampf aufstieg, zog Teheboth sein eigenes Messer und hielt die zarithianische Klinge hoch über seinen Kopf. Die Stimme des Königs hallte durch den Wald. »Seht, gute Leute von Liantine! Seht die Gehörnte Hirschkuh!«
Es war keine Hirschkuh, wollte Hal einwenden. Es war überhaupt keine Hirschkuh. Es war ein Hirsch, der bis zum Ende vortrefflich gekämpft hatte.
Er hielt den Mund. Hal verstand die Macht des Mythos. Er verstand die Natur der Symbole.
»König Halaravilli!«, rief Teheboth. »Wir danken Euch, dass Ihr uns bei dieser Frühlingsjagd die Ehre Eurer Anwesenheit erwiesen habt. Als Zeichen der Freundschaft zwischen unseren Häusern biete ich Euch das Symbol der Jagd an.«
Hal wusste, was von ihm erwartet wurde. Er stieg auf den Felsvorsprung, balancierte sich mit Hilfe der Hände einen kleinen Moment aus, als sein Stiefel in einer Blutrinne ausglitt. Er warf seinen Umhang über die Schultern und offenbarte im hellen Nachmittagssonnenschein seine golddurchwirkte, karmesinrote Tunika.
»König Halaravilli«, verkündete Teheboth. »Seid an unserem Hof willkommen. Sprecht gut über unsere Gastfreundschaft, wo auch immer Ihr hingeht. Seid in ganz Liantine geehrt.«
Teheboth hob seine zarithianische Klinge erneut an, führte sie zum rechten Vorderbein der Hirschkuh und trennte den Huf mit einem einzigen Streich ab. Er hob die Trophäe hoch über den Kopf und entlockte den liantinischen Männern und Hunden damit einen weiteren, begeisterten Aufschrei.
Hal richtete sich zu seiner vollen Größe auf, als Teheboth neben ihn trat. Der stämmige König sah ihm tief in die Augen, als könne er alle
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