Die Gilden von Morenia 03 - Die Wanderjahre der Glasmalerin
Spinnengilde konnten den Nektar benutzen, um ihren Herzschlag zu verlangsamen, um ihre Körper kalt und leblos erscheinen zu lassen. Sie konnten ihre Hauttemperatur anheben, so dass sie ohne Umhang durch Winternächte laufen und ohne Stiefel durch Schneeverwehungen gehen konnten. Sie konnten ihre Körperzyklen anpassen, so dass sie selbst entschieden, wann sie ein Kind gebaren, wann sie schreiende Zwillinge auf die Welt brachten.
Was auch immer Mareka hier in Liantine mit Octolarisnektar tat, war in Wahrheit unwichtig, versicherte der Lehrling sich. Es würde gewiss niemanden von der Gilde kümmern, dass sie die Regeln auf solch geringfügige Art gebrochen hatte. Es würde sie nicht kümmern, dass sie das Gift gemischt hatte, dass sie das Gebräu ohne Aufsicht verzehrt hatte. Und selbst wenn es sie kümmerte, würden sie ihren Zorn vergessen, wenn Mareka ihnen die reiche Frucht ihrer Mühen brachte, die reichliche Seidenernte von ihren ergiebigen Giftspinnen. Die Gilde könnte mit Seide stets besänftigt werden.
Während die Zeit verging, begann das Feuer in Marekas Adern schwächer zu werden. Als sie die Augen öffnete, war die Welt noch immer von einem hellen, silbernen Licht beleuchtet. Sie schimmerte noch immer in schmerzlicher Schönheit und Macht. Dennoch konnte sie es ertragen, sich umzusehen. Sie schaffte es, den Regen zu betrachten, der draußen an ihrem Fenster in Streifen herunterlief. Silberner Regen. Schimmernder Regen. Strahlender Regen.
Sie tat einige Schritte auf die Tür ihres Raumes zu und schrie fast auf, als ihr Spinnenseidegewand ihre Haut berührte. Sie konnte jede einzelne Faser des Stoffes spüren, jeden getrennten Strang, der vom lebenden Körper einer Spinne geerntet worden war. Sie konnte jede Pore ihrer Haut spüren, jedes feine Haar an ihren Unterarmen. Sie keuchte bei der Ablenkung und trat in die Mitte des Raumes.
Sie streckte einen Arm über den Kopf und zog die Unterlippe zwischen die Zähne, als die Bewegung das Gewand fester um ihre Brust spannte. Den Arm langsam zu senken, war schmerzliche Verzückung. Sie spreizte die Finger über dem Stoff, der über ihrem Oberschenkel lag, und sie schrie bei den glitzernden Empfindungen auf, die über ihre Haut züngelten – über ihre Finger, ihre Beine, in ihre Magengrube.
Spinnen, erinnerte sie sich schließlich. Octolaris. Das war es, warum sie den Nektar gekostet hatte. Das war es, warum sie den Trank gebraut hatte. Sie musste sich um ihre Spinnen kümmern.
Die Octolaris befanden sich in der am weitesten von den Fenstern entfernten Ecke des Raumes. Octolaris waren in Zugluft unbeständig. Und Marekas spezielle Züchtung war besonders empfindlich. Die riesigen Spinnen kauerten unter den steinernen Zufluchten in ihren eilig improvisierten, kleinen Käfigen.
Dennoch hatten sie die Reise überlebt. Sie waren nicht auf dem Scheiterhaufen der Meister umgekommen.
Mareka tat alles, was ein Gildeangehöriger in der Spinnengilden-Enklave täte. Sie sang die tröstliche Hymne der Spinnen. Sie stimmte sie ein und gab ihnen gemusterte Raupen. Sie beobachtete ihre Eisäcke, wartete verzweifelt auf den herannahenden Tag, an dem die Jungspinnen ausschlüpfen würden. Sie fürchtete diesen Tag, unsicher, wie sie die Jungen einfangen, behüten und füttern sollte. Aber sie würde es schaffen. Sie würde tun, was auch immer getan werden musste, um die starke Octolaris-Rasse am Leben zu erhalten. Sie auf ihren kalten, dunklen Raum zu beschränken, reduzierte zumindest ihr Bedürfnis nach Nahrung.
Zum ersten Mal, seit sie ihre Zucht in Liantine angesiedelt hatte, war es nötig, eine der Spinnen von der Stelle zu bewegen. Zu Marekas Überraschung und Schande war eines der brütenden Weibchen gestorben. Vielleicht hatte es nicht genügend Raupen bekommen. Vielleicht war es in dem dunklen Raum zu kalt geworden. Vielleicht war es einer der namenlosen Krankheiten zum Opfer gefallen, gegen die sich die Gilde bei ihren Herden schützte. Mareka hatte den zusammengerollten Körper des Tieres diesen Morgen entdeckt.
Sie hatte geweint, wütend auf sich, weil sie an ihrem Schützling versagt hatte. Als sie den toten Körper aus dem Käfig hob, war sie überrascht, wie leicht er bereits geworden war. Sie erschauderte, als sie den Körper dem Feuer übergab, das in ihrem Kamin brannte.
Und jetzt musste sie den Eiersack der toten Spinne auf eine Octolaris übertragen, die dafür sorgen könnte. Das war ein schwieriger Vorgang. Einige Spinnen verschlangen die Eier
Weitere Kostenlose Bücher