Die Gilden von Morenia 03 - Die Wanderjahre der Glasmalerin
ersten Blick scheinen sie nicht so stark. Ihr Gildehaus befindet sich auf den Hochebenen, drei Tagesritte von Liantine und zwei von hier entfernt. Aber sie spinnen ihre Netze und bestimmen die Grenzen ihrer Macht. Spinnen, Seide und Gift. Die Gehörnte Hirschkuh greift vielleicht in ihre Macht ein, aber sie sind noch lange nicht besiegt.«
Rani erschauderte, dachte an die giftigen Tiere, die solchen Reichtum hervorbrachten. »Aber genug von der Spinnengilde!«, rief Flarissa. »Du musst über all die Fragen nachdenken, die du Tovin stellen willst.«
»Ihm Fragen stellen?«
»Natürlich! Tovin ist unser Glasmaler. Habe ich vergessen, dir das zu sagen?«
Bestürzung wallte in Rani auf. Dieser Mann? Dieser beunruhigende, anmaßende…
Flarissa lächelte. »Ich werde dafür sorgen, dass er heute Abend mit dir spricht. Und jetzt setz dich neben mich und leiste mir Gesellschaft, während ich diese Sandalen zu Ende ausbessere.« Rani setzte sich neben die Gauklerin und ließ sich in ein Gespräch verwickeln, während sie schon an die Lektionen dachte, die sie von Tovin lernen könnte.
Rani beobachtete, wie Mair ihr Handgelenk rieb. »Du bist kein Unberührbaren-Kind mehr.«
»Ich bin nicht gefallen, weil ich alt bin, Rai. Ich fiel, weil sie die Seile nicht gleichmäßig gedreht haben.«
»Du hast Glück, dass du dir nicht wieder den Arm gebrochen hast. Er war seit Amanthia geschwächt.«
Mair antwortete nicht, sondern blickte nur auf den Fluss hinaus. Beide Mädchen waren aus dem Lager der Gaukler verbannt worden, und man hatte ihnen gesagt, sie sollten den Nachmittag und frühen Abend über fort bleiben. Die Gaukler führten den geheimsten Teil des Frühjahrstreffens aus, planten ihre Geschäftsabkommen für das nächste Jahr und beschlossen, wo sie hinziehen würden und was sie spielen würden. Flarissa hatte versprochen, jemanden vorbeizuschicken, sobald das Treffen beendet wäre. Rani und Mair sollten sich am abendlichen Festmahl beteiligen.
Rani fragte sich, wo Crestman hingegangen war. Sie hatte ihn nicht finden können, als sie und Mair zum Fluss aufgebrochen waren. Er spionierte den Gauklern wahrscheinlich nach, zählte die Mitglieder des Kleinen Heers, die in ihrer Mitte verstreut lebten. Sie hoffte, dass er keinen ihrer Gastgeber kränken würde.
»Also«, sagte Rani, um die Stille zu füllen. »Wir waren so überrascht, als Hal die Forderung der Gefolgschaft erhielt, dass wir kaum über die dahinterliegenden Gründe sprachen. Was glaubst du, was sie mit eintausend Goldbarren vorhaben?«
»Die Krone stürzen.«
»Sie haben doch gewiss mehr als das vor? Sie müssen das Gold für etwas anderes brauchen.«
Mair schürzte die Lippen. »Wir wissen bereits, dass sie Yrathi-Söldner anheuern und diese Soldaten ihrem Willen unterordnen können. Wenn sie solch großen Reichtum besitzen, warum sollten sie sich dann die Mühe machen, eintausend Goldbarren von König Halaravilli einzufordern?«
»Es würde seine Loyalität beweisen. Kein schlechter Plan – sie prüfen ihn und erlangen großen Reichtum. Vielleicht haben sie irgendwelche Absichten für Morenia. Etwas Besonderes bezüglich des Feuers und unseres Wiederaufbaus.«
»Ja.«
»Oder vielleicht wollen sie das gesamte Kleine Heer finden und die Angelegenheit ein für allemal aus der Welt schaffen.«
»Ja.«
»Oder vielleicht wollen sie zu Ehren von Hals Hochzeit ein Willkommensgeschenk für seine Braut schicken.«
»Rai, du erfindest diese Dinge! Du kannst keinesfalls wissen, was die Gefolgschaft tun wird.«
»Macht dich das nicht besorgt? Es nicht zu wissen?«
Mair zuckte die Achseln. »Ich habe nie etwas über die Gefolgschaft gewusst. Von dem Tag an, an dem ich ihnen beigetreten bin, haben sie ihre Geheimnisse bewahrt. Ich weiß, dass sie Macht sammeln. Ich weiß, dass sie in jedem Land agieren. Abgesehen davon erfahre ich nichts von ihnen, und ich darf mir nicht den Schlaf rauben lassen, weil ich darauf warte, ihren nächsten Zug zu erfahren. Ich werde mich so gut wie möglich schützen, sie benutzen, wenn ich kann, und mein Leben weiterleben.«
Rani ließ Mairs Worte den Fluss hinabfließen und im sich vertiefenden Dämmerlicht verschwinden. Sie wünschte, sie könnte ebenso gut loslassen, wünschte, es könnte sie ebenso wenig kümmern, was die Gefolgschaft plante. »So einfach ist das nicht, Mair. Selbst wenn sie vorhätten, das Gold in einen Brunnen zu werfen, beeinflussen sie die Dinge, indem sie es fordern. Sie werden Morenia beinahe
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