Die Gilden von Morenia 04 - Die Prüfung der Glasmalerin
war ihr Gesicht ruhig.
»Gewährt mir einen Gefallen, Sire.«
»Was erbittest du von mir?«
»Sagt, dass Ihr es tun werdet, bevor ich es Euch sage. Ihr müsst wissen, dass ich nur um Euer Wohlergehen und das Wohlergehen ganz Morenias bitten werde. So viel habe ich von Euch in der Vergangenheit verdient, sollte ich denken.«
Er versuchte es, aber er konnte den Blick nicht von dem zerknitterten Pergament wenden. Wollte sie so ihre Mission erfüllen? Ihn durch sein eigenes Wort binden und dann zuschlagen?
Verdient, sagte sie. Natürlich schuldete er ihr etwas. Er hätte seinen Thron ohne sie nie behalten können. Nicht, wo Bashanorandi vor so langer Zeit gegen ihn intrigierte. Nicht wo das Feuer in Moren gewütet hatte, wo die Kirche und die Gefolgschaft darum rangen, ihn durch eine Schuld zu binden. Rani Händlerin hatte Reichtümer nach Morenia gebracht. Sie hatte Hoffnung gebracht.
Und doch würde nur ein Narr eine Verpflichtung eingehen, ohne mehr über den Preis zu wissen. Das kleinste Kind lernte diese Lektion schon durch Geschichten auf den Knien seines Kindermädchens. Hal stellte sich sich selbst damals in seinem alten Kinderzimmer vor, wie er in der Fensterlaibung kauerte und mit Zinnsoldaten spielte. Damals hatte er seine Lektionen in Strategie gelernt. Er hatte gelernt, wie man Menschen organisierte, wie man Mittel erhob. Er hatte gelernt, wie man Schlachten gewann.
»Das kann ich nicht tun, Rani.«
»Sire, ich habe sonst noch nie etwas von Euch gefordert!«
Die Verzweiflung hinter ihren Worten bestätigte, dass er gerade die richtige Entscheidung traf. Wenn sie sein blindes Versprechen so sehr ersehnte, dann musste sie sicher sein, dass er ihr ihre Bitte verwehren würde, wenn er sie erst kannte. Um ihrer Vergangenheit willen bemühte er sich, freundlich zu sprechen, aber seine Worte klangen frostig, als er forderte: »Sage es mir zuerst, Rani. Dann werde ich entscheiden, was ich tun werde.«
Sie wandte sich von ihm ab, steckte die Hände wieder in die Taschen. Ihr Blick schweifte zu den Fenstern, und er fragte sich, ob sie Weisheit, oder Mut, oder Zuversicht suchte. Oder etwas noch Selteneres, etwas, was er nicht erahnen konnte. »Sag es mir, Rani. Ich befehle es dir.«
Sie reckte das Kinn und antwortete: »Gebt Königin Mareka auf. Schickt sie zur Spinnengilde zurück.«
»Was?« Er sah sie erstaunt an, aber sein Ausruf schien ihre Entschlossenheit nur noch zu stärken.
»Schickt sie nach Liantine zurück. Oder zur Spinnengilde selbst. Oder lasst sie hier in Morenia zurück, in einem Eurer Häuser auf dem Land. Gebt sie einfach auf. Lasst die Priester Eure Ehe annullieren.«
»Bist du verrückt geworden?« Was dachte sie sich? War dies ihre Vergangenheit, die zurückkehrte, um sie heimzusuchen? War dies die Macht, die er zuvor zwischen ihnen gespürt hatte, die Anziehung, das Verlangen nach etwas mehr, als ein König einem seiner Untertanen bieten sollte? Passt auf Eure Frau, die Königin, auf.
Hal war einst so sicher gewesen, dass Rani verstand, dass sie erkannte, dass ein König nicht seine eigenen Entscheidungen des Herzens treffen konnte. Gewiss lägen die Dinge anders, wenn er kein Königreich besessen hätte, wenn er keine Dynastie hätte errichten müssen…
Eine Dynastie. Das war der Haken.
Hal hatte keine Dynastie errichtet. Wie lange hatte Rani die Tage gezählt, bevor sie ihren Zug machen konnte? Hatte sie jeden kleinen königlichen Leichnam ermessen, sich mit jeder Scheiterhaufen-Verbrennung ihrem Ziel näher gewähnt? Er betrachtete sie und erkannte, dass er keine Ahnung hatte, welche Gedanken ihr durch den Kopf gingen.
Gewiss, sie hatte in der Vergangenheit vor ihm mit ihren Männern geprotzt – zuerst Crestman, jetzt Tovin. Sie hatte sie unter der Vorgabe an seinen Hof gebracht, dass sie ihm ebenso treu dienen würden, wie sie ihr zu dienen schienen. Hatte sie jene anderen skrupellos ausgebeutet, sie nur benutzt, um ihre verdrehte Sache voranzubringen?
Es war kein Geheimnis, dass Crestman sich verraten gefühlt hatte – der Soldat hatte Rani verflucht, Hal verflucht, ganz Morenia verflucht, als er sich den Fesseln der Spinnengilde auslieferte. Rani hatte stets tränenreich argumentiert, sie hätte nie gewollt, dass Crestman gefangengenommen würde. Sie hätte nie gewollt, dass sein Leben verwirkt wäre.
Aber was wäre, wenn sie gelogen hätte? Was wäre, wenn sie ihre Rache schon vor Jahren geplant hätte, eine Rache für eine Familie und eine Gilde und ein Leben, die
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