Die Gilden von Morenia 05 - Die Meisterschaft der Glasmalerin
Ihr schlaft anscheinend auch selbst nicht gut, wenn Ihr solche Geschichten erzählt. Nur zu. Trinkt. Lasst nur einen Schluck für den Jungen übrig.«
Jalina hob den Becher an ihre Lippen.
Kella wusste, dass sie die junge Mutter aufhalten könnte. Sie könnte ihr den Becher aus der Hand schlagen. Sie könnte ihn durch den Raum segeln lassen, den tödlichen Trank in den Boden einsickern lassen. Sie könnte aufschreien und Jalina erschrecken, so dass sich die Flüssigkeit über die Vorderseite ihres Gewandes ergießen würde.
Aber Kella schwieg. Sie beobachtete, wie Jalina den Becher anhob. Sie beobachtete, wie die Kehle der Frau zuckte, einmal, zweimal, dreimal, viermal. Sie beobachtete, wie Jalina zum Herdfeuer trat, ihren Sohn hochnahm. Sie beobachtete, wie Jalina Würmchen vergiftete.
Erst als der Becher leer war, erlaubte Kella sich ein Lächeln. »Ihr werdet Euch nur allzu bald müde fühlen. Die Kräuter werden Eure Glieder beschweren.« Jalina nickte, und ihre Lider wurden schwer. So bald? Nun, Kella hatte sich eine Extraportion Dararinde gestattet, zuversichtlich, dass der scharfe Geschmack durch die Minze überdeckt würde. »Warum legt Ihr Euch nicht beim Feuer nieder? Ich werde über Euch wachen, bis Ihr fest eingeschlafen seid.«
»Ich…«, sagte Jalina und schüttelte offensichtlich verwirrt den Kopf. »Die Wächter…«
»Ich werde mit den Wächtern reden, wenn ich gehe. Ich werde ihnen sagen, dass sie Euch nicht stören sollen.«
»Ich bin… schläfrig.« So schnell, dachte Kella. Sie hätte nicht gedacht, dass die Kräuter so schnell wirken könnten. Aber andererseits war Jalina eine sehr kleine Frau. Eine sehr kleine Frau, die unter großem Druck gestanden hatte. Und Würmchen hatte sie wahrscheinlich tatsächlich nicht gut schlafen lassen, in vielen dieser vergangenen Nächte.
Kellas Blick zuckte zu dem Jungen, der im Arm seiner Mutter lag. Sein Mund war noch geschürzt, als hoffte er auf mehr des süßen Minztees. Sein Atem hatte sich bereits verlangsamt. Kella musste stark blinzeln, um seine Wickelkleidung sich überhaupt heben zu sehen.
Die Hexe beugte sich hinunter und nahm Jalina das Kind ab. »Legt Euch jetzt hin, Jalina. Legt Euch hin und ruht Euch aus.«
»Mmmm«, sagte Jalina und runzelte die Stirn. »Gebt mir mein Baby wieder.«
»Gewiss«, sagte Jalina, beugte sich vor und legte den Jungen neben seine Mutter. Sie konnte ihn nun nicht mehr atmen sehen, konnte kein Lebenszeichen mehr entdecken.
»Marekanoran!«, flüsterte Jalina, aber sie schien nicht im Stande zu sein, eine Hand zum Gesicht ihres Sohnes zu erheben oder das Kind auf irgendeine Weise zu bewegen.
»Schlaft«, gurrte Kella. »Schlaft, und alles wird gut.«
Für Kella auf jeden Fall. Sie hörte das Handgemenge, bevor sie eine Chance hatte, ihre Kräuterpäckchen einzusammeln.
»Mylady!« Ein Mann rief, mit vor Unruhe angespannter Stimme.
So bald! Die Gefolgschaft musste die Nordländer informiert haben, dass Rani Händlerin gefangen genommen worden war. Die Neuigkeit hatte die Sorge um die morenianische Königin natürlich verstärkt.
Kella sah sich in dem Erdraum um, wohl wissend, dass es kein Entkommen gäbe. Warum war sie nicht schneller durch den Wald gelaufen? Warum hatte sie nicht darauf gedrängt, früher bei Jalina einzutreffen? Verfluchte Hypnose! Warum hatten Tovins Spiele so lange gedauert?
»Euer Majestät!«, rief ein anderer Mann. Die Tür wurde krachend geöffnet. »Mylady!«, rief ein Soldat, einer der Lederbekleideten, einer derjenigen, die auf der Großen Lichtung lagerten. Er begriff die Szene sofort und brüllte seinen Zorn heraus, als er seine stille Königin und das leblose Kind sah.
Er wirbelte zu Kella herum und zog rasselnd sein Schwert. Sie rang darum, ihren keuchenden Atem zu beruhigen, ihr Brustbein von der Spitze seiner Waffe fernzuhalten. Während er sie bedrohte, wehklagte er: »Was habt Ihr getan?«
»Ruhig«, sagte sie. »Ich bin nur eine Kräuterhexe.«
Was hatte sie getan? Das Einzige, was sie hatte tun können. Sie hatte gehandelt, um sich zu retten. Sie war Crestmans Befehlen gefolgt, in der Hoffnung, dass er sein Versprechen halten würde, dass er ihr Leben verschonen, sie in Frieden leben lassen würde. Frieden… Sie sprach mit vermeintlich ruhiger Stimme zu dem Soldaten. »Sie haben jetzt ihren Frieden.«
»Ihr habt sie ermordet!«
»Ich habe ihnen ihre Reise erleichtert. Sie hatten keine Schmerzen. Sie sind jetzt nicht mehr in Gefahr.«
»Dafür werdet Ihr
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