Die Gilden von Morenia 05 - Die Meisterschaft der Glasmalerin
Hals, sich zu entspannen, so dass ihr Kopf den Boden berührte. Sie hatte schon lange alles Gefühl in ihren Fingern und Zehen verloren. Sie konnte die Ränder des Seils nicht mehr spüren, das in ihre Haut einschnitt.
Sie hatte ihren Körper in der Vergangenheit kasteit, und sie hatte überlebt. Nach der Ankunft im Gildehaus der Glasmaler hatte sie mehr Regeln gebrochen, als ihr bekannt waren. Sie war häufiger in die Züchtigungshalle gerufen worden als jeder andere Lehrling in der langen Geschichte der Gilde. Ihr war befohlen worden, sich vor die für die strengsten der Tausend Götter errichteten Altäre zu knien.
Sorn, der Gott des Gehorsams, war ihr Freund und fast ständiger Begleiter geworden.
Sorn. Als sie den Namen des Gottes dachte, benetzte der Geschmack von Honig ihre Kehle. Honig. Süß. Tröstlich. Nährend, während er gleichzeitig die von ihrem rauen Atem wund gewordene Haut linderte.
Durch den Beistand des Gottes neu belebt, versuchte Rani sich zu erinnern, wer noch in der Züchtigungshalle gelebt hatte. Da war natürlich Lene. Als wäre er nie weiter als einen Schritt entfernt gewesen, sprühte der Gott der Bescheidenheit auf ihrer Haut Funken, seine eisige Berührung war so kalt, dass sie brannte. Das Gefühl war nicht beruhigend, konnte niemals tröstlich sein, aber Rani merkte, dass sie aufmerksamer wurde.
Sie musste immerhin wach bleiben. Sie durfte nicht in pelzige Dunkelheit gleiten. Sie musste… sie musste…
Lene trat näher heran, kühlte ihren Rücken, damit sie wach blieb. Ja! Sie musste aufmerksam sein, wenn die Gefolgschaft eintraf. Sie musste bei Bewusstsein sein, wenn sie in die letzte Konfrontation mit der Geheimgesellschaft eintrat, die sie, seit sie sie zum ersten Mal kennengelernt hatten, nur benutzt hatte.
So viele Jahre waren vergangen, seit Mair sie unter den Schutz der Gefolgschaft gebracht hatte. Mair… Arme Mair, die noch immer umherwanderte, noch immer im Wald nach dem Frieden suchte, den sie einst gekannt hatte. War es richtig gewesen, dass Rani ihrer Freundin die Wahrheit gesagt hatte? War es richtig gewesen, Mair zu zwingen, die Hoffnung aufzugeben, jegliche Möglichkeit des Friedens und des Glücks aufzugeben?
Rani kehrte mit einem einzigen Atemzug auf die Lichtung zurück, wo sie Mair zuletzt gesehen hatte. Sie konnte die Sonne auf ihre Schultern herabbrennen spüren. Sie konnte das Gras riechen, das sie auf dem Weg zu dem Felsblock zertreten hatte, auf dem ihre Freundin saß. Da war es ihr richtig erschienen, Mair die Wahrheit zu sagen. Es war ihr fair vorgekommen.
Aber was wäre, wenn Rani nur für sich selbst gehandelt hätte? Was wäre, wenn sie die Wahrheit nur gestanden hätte, weil sie sich von der Schuld befreien wollte? Was wäre wenn, was wäre wenn, was wäre wenn…?
In der Stille der dunklen Hütte drehten sich ihre Gedanken um sich selbst wie die Bänder von Gauklerkindern, während sie ihre vorgegebenen Spiele auszählten. Sie spürte, wie sie hoch über ihrem verschnürten Körper schwebte. Der Schmerz in ihren Schultern war nun fort, nur noch eine Erinnerung, die ihr die Brust einschnürte. Der Verlust ihrer Finger, ihrer Zehen – was kümmerte es sie? Sie schwebte. Sie war abgesondert. Sie war allein…
Und dennoch arbeitete ein Winkel ihres Geistes an der Frage, die sie sich vor Minuten, vor langer Zeit gestellt hatte. Wer waren die Götter in der Züchtigungshalle? Wem hatte sie gedient, als sie ein eigensinniger Lehrling war? Honigsüßer Sorn. Eisiger Lene.
Platsch. Ein Spritzer brennenden Essigs weckte sie auf. Der Geschmack war beißend, scharf, und sie zwang sich zu schlucken. Geduld? Welcher Gott der Geduld würde sie so grausam aus ihrem Schlaf wecken? Wie konnte Plad ihre umherschweifenden Gedanken mit einem solch bitteren Mittel unterbrechen?
Sie wollte seinen Namen verfluchen, aber sie würgte an einem weiteren sauren Spritzer auf ihrer Zunge. Sie spuckte und spie aus, versuchte, sich von dem Geschmack zu befreien. Die Bewegung zog ihre Schultern zurück, streckte sie gegen ihre Fesseln, aber es war den Schmerz wert, den Geschmack loszuwerden.
Erst als sie ihre Schultern zu entspannen begann, hörte sie die Schritte auf dem Weg. Kühne Schritte. Stiefelbekleidete Füße, die den Steinweg grimmig und entschlossen entlangmarschierten.
Rani hatte nur noch genug Zeit, das Gesicht zur Schwelle zu wenden, ihren Zügen Herausforderung zu verleihen, als die schwere Eichentür schon aufflog.
Fünf Männer stürmten in die
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