Die Gilden von Morenia 05 - Die Meisterschaft der Glasmalerin
einen nagenden Verdacht, dass ein Messer in Bereitschaft gehalten wurde. Sie sagte sich, sie müsse das Gefühl ignorieren, dass sie sich Dinge einbildete, sich einbildete, dass Mair die Rache ernten wollte, die sie versprochen hatte. Das Gefühl ließ sich nicht vertreiben. Sie schloss die Augen und zwang sich, bis zehn zu zählen, die schimmernden Bilder der Götter auf der geschnitzten Abschirmung auszuschließen, das Flüstern, den Geschmack und die Gerüche auszuschließen, die sie so sehr ablenkten.
Als sie die Augen jedoch wieder öffnete, blieb das Gefühl bestehen, als hielte jemand eine Brennnessel unmittelbar über ihre Haut. Sie schluckte schwer und drehte den Kopf, wappnete sich für den Anblick von Mairs grimmiger Rache.
Die Unberührbaren-Frau war natürlich nicht da. Aber Dartulamino. Er war da und hielt einen sehr scharfen Dolch in der Hand, eine Klinge, die im Fackellicht wie goldenes Feuer schimmerte. Die Botschaft war eindeutig. Der Heilige Vater würde nicht zögern, ihr Blut zu vergießen. Nicht hier. Nicht jetzt. Nicht inmitten der geheimen Bruderschaft, die ihren Tod ersehnte.
Dartulamino nickte einmal, und Glair stieg mühevoll auf das Podest. Sie blickte über die Versammlung hinweg, als wundere auch sie sich über die Gefolgschaftsmitglieder, die den Raum erfüllten.
Und dann zog sie ihre Kapuze ab. Es gelang ihren verkrümmten Händen, die Bewegung fließend auszuführen, es gelang ihnen, das anhaftende, schwarze Kleidungsstück abzustreifen, als wäre sie es gewohnt, sich in dieser Gesellschaft zu enthüllen. Ein kollektives Keuchen erklang von der Menge, und Rani spürte, wie sich ihre Muskeln in bestürzter Überraschung anspannten.
»Genug, Gefolgschaft. Ihr wart lange genug geheim. Heute is’ der Tag, an dem ihr ganz Moren Eure Gesichter zeigen könnt. Heute is’ der Tag, auf den wir so lange hingearbeitet haben.« Glairs Stimme zitterte vom Alter und vibrierte vor Gefühl. Dennoch wurden ihre Worte zu der gemeißelten Abschirmung getragen, bis zur letzten Reihe der Menge.
Der Raum war von überraschtem Flüstern erfüllt, von Bestürzung und Verwunderung. Glair erhob ihre Stimme über das allgemeine Geplapper. »Ja! Ihr alle! Entblößt Eure Gesichter! Heute is’ der Tag, von dem ihr uns in all unseren langen, gemeinsamen Jahren habt sprechen hören. Heute is’ der Tag, an dem wir frei sind. Wir erlangen unsere Macht. Zeigt Eure Gesichter und beansprucht Euren Lohn.«
Die alte Frau hob ihre Maske an die Zähne, führte einen vorstehenden Schneidezahn an den Stoff. Das Geräusch reißenden Stoffs bannte den Raum, und dann folgten Dutzende von Gefolgsleuten ihrem Beispiel, nahmen ihre Masken ab, hoben den Stoff an. Kapuzen wurden zerrissen, Masken wurden vernichtet, und Rani war von blinzelnden, benommenen Verschwörern umgeben.
Sie merkte, dass sie, wie all die Übrigen im Raum, nach bekannten Landsleuten suchte. Sie wurde nicht enttäuscht. Neben Dartulamino und Glair waren da noch andere vertraute Gesichter. Yalin, der Schlachter, den sie seit ihrer Kindheit kannte. Galindrino, der im königlichen Palast als einer ihrer ersten Leibwächter gedient hatte. Trilita, eine Meisterstickerin, die ihre Gilde an Hals Hof so lange repräsentiert hatte, wie Rani dort lebte.
Da waren weitere Gesichter, einige wenige vertraut, viele vollkommen fremde. Sie alle hatten jedoch eines gemein. Alle schauten Rat suchend zu Glair und Dartulamino.
Die Unberührbaren-Frau nickte dem Heiligen Vater zu und trat einen kleinen Schritt zurück, obwohl sie noch immer ihren Ehrenplatz auf dem Podest beibehielt. Dartulamino trat vor und wirkte in seinen schwarzen Gefolgschaftsgewändern, als trüge er die edelsten, heiligen Gewänder.
»Ich grüße euch, Gefolgsleute«, sagte er, und seine Stimme wurde mühelos durch den ganzen Raum getragen. »Viele Jahre lang haben wir uns in düsteren Gängen getroffen. Viele Jahre lang haben wir unsere Gewänder und Masken getragen, haben unsere Identität voreinander und vor der Außenwelt verborgen. All das ändert sich heute. All das endet.
Unsere Gefolgschaft tritt nun in ein neues Zeitalter ein. Es ist an der Zeit, dass wir die Macht übernehmen, wie wir es verdient haben. Es ist an der Zeit, dass wir die Kontrolle über die Welt übernehmen, die wir aufgebaut haben. Es ist an der Zeit, dass wir aus unserem Versteck hervorkommen und unseren Platz in allen Königreichen der Welt beanspruchen!«
Hal atmete tief durch, während er sein Fernglas
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