Die Gilden von Morenia 05 - Die Meisterschaft der Glasmalerin
anhob. Die Boote am Rande des Hafens waren gerade noch mit dem Fernglas erkennbar. Selbst mit Davins Doppellinsen musste Hal die Augen zusammenkneifen und wie ein uralter Mann blinzeln. Das Zeichen sollte deutlich sichtbar sein. Es gab sechs liantinische Boote, sechs Ziele, welche die Wasserläufer erobern mussten.
Hal fluchte, senkte das Fernglas und schüttelte es, als würde es mit Gewalt besser funktionieren. Er hielt erst inne, als Tovin eine Augenbraue hochzog. »Ich kann nichts erkennen«, sagte er zu dem Gaukler.
»Sie sollen ein Zeichen geben, wenn die Sonne eine Handbreit über dem Horizont steht. Wir wollten ihnen Zeit geben, damit alle Boote gemeinsam überrascht werden können.«
»Ich kenne den Plan!«, fauchte Hal, aber er bedauerte seinen Ausbruch augenblicklich. Er zwang sich, ruhiger zu sagen: »Ich kenne den Plan, und ich vertraue Euren Gauklern.«
Und Hal war überrascht, dass er den Gauklern tatsächlich vertraute. Sie waren, auf ihre eigene Art, disziplinierte Truppen. Sie hatten den Umgang mit Davins Geräten geübt, bis jeder gewöhnliche Soldat zu Tode gelangweilt gewesen wäre. Sie hatten die Grenzen der Geräte ermessen, sie geprüft und umgebaut.
Hal zwang sich zu sagen: »Ich verstehe jetzt, warum Rani die Förderung Eurer Truppe übernommen hat.«
»Sire?« Tovin stellte die Frage vorsichtig. In all der Zeit, die der Gaukler in Moren verbracht hatte, hatte Hal es niemals gewagt, ihn unmittelbar anzusprechen und Bemerkungen über die Frau zu machen, die ihre Leben verband.
»Rani. Sie lebt für Muster.« Wie all die Menschen in seinem Lager, sprach Hal weiterhin in der Gegenwartsform. Niemand gab zu, dass Rani Händlerin bald tot sein würde, wenn sie überhaupt noch lebte. Niemand gab zu, dass die Gefolgschaft sie töten würde, wenn nicht heute, dann morgen. Wenn nicht morgen, dann übermorgen. Sie könnte bereits getötet und ihr Leichnam nur noch nicht gefunden worden sein.
Hal zwang seine Gedanken wieder zurück zu Tovin. »Ihr Gaukler bildet bei allem, was Ihr tut, Muster – wenn Ihr Eure Stücke aufführt, wenn Ihr Eure Akrobatik zeigt. Sie hat sich schon immer zu Ordnung, zu Logik hingezogen gefühlt.«
Tovin schien belustigt. »Niemand hat meine Gaukler jemals zuvor logisch genannt, Sire.«
Hal nickte, bemerkte, dass Tovin ihn nicht wirklich korrigierte. Es gab einige Freiheiten, die sich nicht einmal ein Gaukler bei einem König nehmen würde. »Vermisst Ihr sie?« Hal stellte die Frage, bevor er darüber nachgedacht hatte, und war überrascht über den schmerzhaften Stich, der sein Herz durchfuhr.
Tovin verzog den Mund zu einer Grimasse, die zu bitter wirkte, um ein Lächeln zu sein. »Ich hatte sie niemals, Sire.«
Sonnenlicht schimmerte in den kupferfarbenen Augen des Gauklers, als er sich sichtlich stählte, um dem Blick seines Lehnsherrn zu begegnen. »Sie kam eine Weile zu mir, und wir genossen die gemeinsame Zeit. Aber sie hatte nie die Absicht, bei mir zu bleiben. Ihr Herz hat mir niemals gehört.«
Hal zwang sich, eine Antwort in der Gegenwartsform zu formulieren. »Sie liebt Euch, Tovin Gaukler. Sie liebt Euch auf ihre Art.«
»Sie hat mich vielleicht geliebt, während sie bei mir war, aber es gab immer einen anderen in ihrer Vergangenheit.«
Hal konnte die Worte nicht hören, konnte die Wahrheit nicht hören, die er stets gekannt hatte, die er stets verdrängt hatte. Er schluckte schwer und hob das Fernglas erneut an. Er spielte mit dem Mechanismus, nahm eine Reihe unnötiger Angleichungen vor. Er blinzelte und sagte sich, der Wind hätte ihm die Tränen in die Augen getrieben.
Als er das Glas erneut anhob, dachte er, er müsse sich einbilden, was er nun sah. Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs. Sechs Schiffe im Hafen. Sechs Flaggen aus flammend roter Seide, die über jedem Bug in der Luft flatterten. »Tovin!«
Der Gaukler ergriff ohne Umstände das Fernglas. »Ja!«, rief er, und seine Freude schien strahlender als das Sonnenlicht, das den Hang überflutete. Er drückte Hal das Fernglas schnell wieder in die Hände, nahm sein eigenes Seidenbanner hoch und stieß dessen hölzernen Stiel mühelos in die Luft. Er stand aufrecht und groß da, während er das Gauklermuster wob.
Einmal, zweimal, dreimal wiederholte er den wartenden Schiffen gegenüber seine Bestätigung und wartete dann wiederum auf die Antwort, dass sie ihn verstanden hatten. Dann konzentrierte er sich auf das kleine Heer von Männern auf der Ebene unter ihnen. Das Signal war
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