Die Gilden von Morenia 05 - Die Meisterschaft der Glasmalerin
Können eines Meisters anschwellen. Schließlich hob er eine Hand, befahl fast augenblickliches Schweigen. »Ich bin gekommen, um euch zu sagen, dass der Königliche Pilger keiner jener Männer ist. Der Königliche Pilger steht vor euch. Diese Frau, diese Gefangene, sie ist der Königliche Pilger, den wir erwartet haben. Sie ist diejenige, die uns vereinen wird. Sie ist diejenige, die die Gefolgschaft an ihr wahres Ziel führen wird.«
Die Entladung des Unglaubens hallte von der Decke des Raumes wider. Ranis Stimme trug zu dem Chaos bei. Sie konnte ihr erstauntes »Was?« nicht zurückhalten. Sie verband sich automatisch mit den Tausend, öffnete ihre Sinne, damit die Götter ihr die Wahrheit zuflüsterten, aber sie wurde nur mit der vertrauten Gegenwart derer begrüßt, die sie inzwischen so gut kannte. Da war nichts Besonderes, nichts Anderes, nichts, was sie als diejenige kennzeichnete, auf die die Gefolgschaft gewartet hatte.
Dartulamino erhob seine Stimme, strengte sich an, um gehört zu werden. »Ich sage euch, diese Frau ist der Königliche Pilger. Rani Händlerin, Ranita Glasmalerin, sie war unter vielen Namen bekannt. Sie ist der Königliche Pilger, und ein anderer aus unserer Bruderschaft wird euch erklären, wie sie uns Ruhm bringen wird.«
Der Heilige Vater hob eine Hand, als beriefe er einen Blitzschlag herab. Die Bewegung ließ die Menge erstarren. Die gesamte Gefolgschaft verfiel in Schweigen. Dann, wie durch verborgene Magie, öffnete sich ein Pfad in der Menge.
Eine Gestalt hinkte voran. Eine Gestalt, ganz in düsteres Schwarz gekleidet. Eine Gestalt mit einem verkrüppelten Arm, einem unbrauchbaren Bein. Eine Gestalt, die es wagte, auf Rani zuzugehen, die es wagte, die Stufen zum Podest zu erklimmen, die es wagte, sich vor die Gefolgschaft zu stellen.
»Crestman«, sagte Rani, und ihr war bewusst, dass sie nicht überrascht sein sollte. Andere Mitglieder der Gefolgschaft griffen den Namen des Soldaten auf, flüsterten ihn, verbreiteten ihn bis in die hintersten Ränge, so dass alle wussten, wer vor ihnen stand.
Er machte sich nicht die Mühe, ihre Begrüßung zu erwidern, nicht mit Worten. Stattdessen hinkte er einen Schritt näher heran. Er streckte seine gesunde Hand aus und nahm das Seil auf, das Ranis Arme an ihre Seiten band. Er bewegte sich so rasch, dass ihre Augen der Bewegung kaum folgen konnten, aber sie konnte sein Handeln spüren.
Sie konnte spüren, wie sich das Seil um ihre Kehle legte. Sie konnte den Hanf über ihre Luftröhre schneiden spüren.
Sie konnte den scharfen Zug spüren, der sie auf die Knie zwang, den heftigen Ruck, der ihren Hals in einen schmerzhaften Winkel brachte. Ihr Atem drang rau hervor, und sie begann zu würgen, aber er zog die Schlinge nur noch fester zu, zog mit einer Heftigkeit an dem Seil, die bestätigte, dass sie verdammt war.
Die Gefolgschaft schrie wie ein Mann auf, und alle im Raum traten näher an das Podest heran.
»Halt!«, rief Crestman aus. »Steht still, und ich werde es euch erklären.«
Rani konnte seine Worte kaum hören, konnte in den Silben kaum eine Ordnung erkennen. Er würde sie erwürgen. Hier. Jetzt. Vor all diesen Zeugen. Vor all den Tausend. Crestman würde sie töten, und niemand würde eine Hand erheben, um ihn aufzuhalten. Nicht bis es zu spät war. Nicht bis sie ihren letzten keuchenden Atemzug getan hätte. Nicht bis sie unter einem Vorhang roten Nebels zusammengebrochen wäre.
Crestman zog erneut an dem Seil, und seine Stimme wurde stärker, als verliehe ihm ihre Folterung eine Kraft, die er für immer verloren zu haben glaubte. »Es heißt, dass der Königliche Pilger alle Königreiche der Welt zusammenführen wird. Wie ihr wisst, sind viele jener Länder bereits vereint. Brianta und Liantine herrschen in Moren selbst, halten den Hafen und die Stadttore. Morenia beherrscht mein eigenes Heimatland, Amanthia, und hat nun auch Verbindungen zu Sarmonia geknüpft. Die Welt ist auf zwei gewaltige Mächte reduziert. Zwei gewaltige Mächte, die bald eine sein werden.«
Rani hörte, was Crestman sagte, erkannte, dass er Worte sprach, an die er selbst glaubte. Sie versuchte zu erahnen, was er als Nächstes sagen würde, versuchte, das Muster seiner Rede zu erkennen. Muster. Das war es, was sie als Kind beherrscht hatte. Das war es, was ihr als Kauffrau, als Händlerin Macht verliehen hatte.
Halte dich an deine Kaste. Das war die Lektion, die sie vor so langer Zeit gelernt hatte. Sie hatte sich geirrt, als sie geglaubt hatte,
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