Die Gilden von Morenia 05 - Die Meisterschaft der Glasmalerin
Macht der Natur, Mädchen. Ihr solltet sie nicht so zweifelnd betrachten.«
»Das tue ich nicht«, protestierte Rani automatisch. Sie schluckte und sagte: »Ich kann mir nur nicht vorstellen, was Ihr mit den Würmern und ihrem Pulver tun könntet.«
»Wir nehmen die Würmer einzeln«, Kella ließ den Worten Taten folgen, indem sie mit einem zweibackigen Holzwerkzeug einen Wurm aufnahm. »Vier davon werden in einen mit Wasser aus einer ungetrübten Quelle gefüllten Eisenbecher gegeben. Um Mitternacht wird der Becher in die Glut eines Feuers gestellt, das vier Tage und vier Nächte gebrannt hat. In der Dämmerung sind die Würmer bereit. Man nimmt sie aus dem Wasser und schneidet sie zu einer gleichen Menge wie ihr schwarzer Staub. Weiß mit Schwarz, Nass mit Trocken. Alles dreht sich um die Ausgewogenheit.«
»Ihr schneidet sie?«
»Ja, mit einem Messer. Es muss jedoch ein besonderes Messer sein. Eines ohne Metallklinge.« Kella erhob sich erneut mühsam vom Tisch und trat zu dem niedrigen Tisch neben ihrem Lager. Sie kehrte mit einem Gegenstand in der Hand zurück. »Wie dieses.«
Rani war einen Moment nicht überrascht, das Diamantmesser in Kellas Hand zu sehen. Sie hatte immerhin schon selbst Hunderte von Malen eines in der Hand gehalten, es benutzt, um Glas für ihre Gilde zu schneiden, es benutzt, um Paneele für die Gaukler zu gestalten. Noch während sie den Gegenstand registrierte, erkannte sie jedoch, wie seltsam es war, hier in Sarmonia ein solches Messer zu sehen, im Heim einer Kräuterhexe.
Sie sprach mit gleichmütiger Stimme und streckte eine Hand aus. »Darf ich?« Kella reichte ihr das Messer. »Wo habt Ihr dieses Werkzeug gefunden? Was ist diese Klinge?«
»Es ist ein Diamantmesser«, sagte Kella, und Rani hörte den Stolz in ihrer Stimme. Die Hexe richtete sich ein wenig höher auf, während sie das Werkzeug erklärte, und ein weiches Lächeln umspielte ihre Lippen. Sie schaute zum Lager, und Rani erkannte mehr, als sie jemals hätte erfahren wollen. Mehr als schwarze Weide. Mehr als Tovins reizbares Temperament.
Die Klinge erzählte die ganze Geschichte. Tovin Gaukler war hier gewesen. Er hatte Kellas Bett geteilt. Er hatte sein Diamantmesser zurückgelassen. Darum hatte der Gaukler so sehr versucht, Rani ihren Besuch in der Hütte auszureden.
Rani wusste, dass ihre Eifersucht völlig unbegründet war. Sie und Tovin hatten sich schon vor Monaten getrennt. Sie hatten beschlossen, ihre eigenen Wege zu gehen. Sie konnte hören, wie er sie ausschalt, sie der Treulosigkeit Hal gegenüber, Crestman gegenüber, jedem Mann in Hosen gegenüber beschuldigte. (Letzteres war unfair. Gemein und böse und einfach unfair). Und dennoch schmerzte es sie, über jeden Zweifel hinaus zu wissen, dass er zu Kella gekommen war.
Die Kräuterhexe war immerhin eine alte Frau. Wie viel Zeit hatte er damit verbracht, ihre schlaffe Haut zu liebkosen? Hatte er die Falten auf ihren Wangen geküsst? Hatte er ihren Kopf zur Seite gewandt und an ihrem runzeligen Hals geflüstert…?
Rani errötete und wandte ihre Gedanken bewusst von dem Bild ab. Tovin war ein eigenständiger Mensch. Das war er immer schon. Und würde es immer sein. Sie konnte ihn nicht kontrollieren. Sie wollte ihn nicht kontrollieren. Sie zwang sich zu fragen: »Und welchen Nutzen haben die Dämonenzähne? Was tun die Würmer?«
»Der Breiumschlag heilt giftige Bisse – Schlangenbisse, Bienenstiche.«
Giftige Bisse, dachte Rani, die das Diamantmesser ignorieren wollte. Bisse wie jene von einer Octolaris-Spinne, von den Tieren, die sie und Hal vor Jahren erfolgreich nach Moren gebracht hatten. An Hal zu denken, erinnerte Rani erneut an ihre wahre Mission hier in der Hütte. Sie zwang ihre Gedanken von Tovin fort, ließ ihre Stimme wieder in eine beiläufige Tonlage sinken. »Es muss hier in den Wäldern viele giftige Tiere geben. Habt Ihr jemals Angst, allein zu leben?«
»Ich lebe schon lange Zeit allein.«
Nicht so allein, wollte Rani hinausschreien. Nicht in letzter Zeit! Erzählt mir von der Gefolgschaft!
Sie befand sich in einer Sackgasse. Crestman könnte ebenso gut reine Einbildung von ihr sein. Sie bedrängte Kella stärker, während die Verzweiflung sie unbeholfen werden ließ. »Ich habe seltsame Leute in den Wald kommen und dort umherwandern sehen. Ich war vor drei Tagen auf einer anderen Lichtung, näher an der Straße nach Riadelle. Dort gab es noch eine Hütte, eine die so aussah, als könnte sie einer Frau Eurer Zunft
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