Die Gilden von Morenia 05 - Die Meisterschaft der Glasmalerin
unmittelbar vor Kella stand, und beugte sich dann über die Blüte. Sie drückte ihre Nase unmittelbar auf den roten Fleck und atmete so tief wie möglich ein.
Und Kella presste ihr die getrocknete Blüte ins Gesicht. Rani sprang bestürzt zurück, aber die Kräuterhexe ergriff mit starker Hand ihren Kopf. Die getrocknete Pflanze schabte an ihrer Nase vorbei und wurde an ihrer Oberlippe zerdrückt. Sie öffnete aus einem Reflex heraus den Mund, um zu schreien, und Kella nutzte rasch ihren Vorteil, drückte die Blüte zwischen Ranis Lippen hindurch, zermahlte sie an ihren Zähnen, auf ihrer Zunge. Der Geschmack war furchtbar – bitter und beißend, so stark, dass Rani sich der Magen umdrehte.
Sie zappelte wie ein Fisch an der Angel, drehte den Kopf von einer Seite zur anderen, versuchte, Kellas Griff zu entkommen. Sie hob einen Fuß, um der alten Frau auf den Spann zu treten, aber die Hexe erwies sich als zu schnell. Der bittere Geschmack breitete sich auf Ranis Zunge und ihre Kehle hinab aus und hinterließ ein brennendes Prickeln. Zum zweiten Mal innerhalb von zwei Wochen hämmerte Ranis Herz und schmerzten ihre Lungen. Sie erinnerte sich, auf den Boden des Blue Rose gestürzt zu sein, und sie dachte an den Schaden, den sie sich dort zugefügt hatte, die gezackten Kratzer, die sie in ihre Haut geritzt hatte, während sie Yors Nesseln zu entkommen versuchte.
Sie brauchte die Götter jetzt. Sie brauchte sie, damit sie ihr zur Flucht verhalfen. Arn, dachte sie, lass mich jetzt nicht im Stich. Erstaunlicherweise verband sich der Gott des Mutes durch ihren Kampf mit ihr. Sie hörte das Geräusch eines saugenden Babys.
Das Geräusch verlieh ihr Kraft. Immerhin waren die Tausend Götter an ihrer Seite. Sie waren um sie herum versammelt, wachten über sie. Sie hatte Beweise für ihre Anwesenheit, wie sie kein anderer lebender Mensch hatte.
Sie schrie, während sie den Mund öffnete. »Stote!«, rief sie, den Gott der Berge anrufend. Wie sie gehofft hatte, wie sie es erbeten hatte, strömte das Gefühl von Wasser ihre Kehle hinab. Sie war Stote schon zuvor begegnet, hatte ihn entdeckt, als sie ihre neu gefundenen Kräfte ausprobierte. Sie wusste, dass er Wasser, Erfrischung und Leben brachte. »Stote«, rief sie erneut, und der Gott durchströmte sie erneut, löschte ihren verzweifelten Durst. »Stote!«, rief sie ein drittes Mal, und der bittere Geschmack des Mädchenschleiers wurde unter der Kraft des Wassers abgeschwächt. »Stote!«
Während Rani das Kraut fortspülte, gab Kella den Kampf auf. Die Kräuterhexe taumelte einige Schritte zurück und ließ die Überreste der weißkarmesinroten Blüten auf den Hüttenboden fallen. Sie sah Rani erstaunt an, als hätte sie den Namen des Gottes der Berge noch nie gehört.
»Was war das?«, fragte Rani drängend. »Was habt Ihr mir aufzuzwingen versucht?«
»Ihr solltet nicht sprechen können!«, keuchte Kella. »Ihr solltet nicht stehen können!«
»Ich habe die Macht der Tausend, Kräuterhexe. Bei Jair, ich will wissen, was Ihr mir verabreichen wolltet!«
Bevor Kella eine weitere Lüge erfinden konnte, erklang ein schreckliches Krachen. Die Tür ruckte in ihren Lederscharnieren, und der Raum wurde von Frauen überflutet, von jungen und alten, großen und kleinen, dicken und dünnen. Sie rauschten herein, zehn, fünfzehn, zwanzig. Rani verlor den Überblick, während sie an den geschrubbten Tisch zurückwich.
Die letzte Frau trat mit der Gelassenheit einer Königin über die Schwelle. Sie wartete, bis ihre Schwestern auch ihre Ruhe wiederfanden, bis Kella auf die Knie gezwungen und ihre Hände mit einem groben Seil vor ihr gefesselt waren. Rani wartete, während Kella die Tuchmaske abgenommen wurde, während ihre Nase und ihr Mund enthüllt wurden. Sie wartete, während sich drei der Frauen den weißen und karmesinroten Blüten näherten, die auf dem Boden lagen, sie mit ihrem Seidensack und dann mit dem nach Lavendel duftenden Strohsack bedeckten, den sie über den Boden zerrten.
Erst als sich wieder aller Augen erwartungsvoll ihr zuwandten, sprach die Frau auf der Schwelle. »Kella Kräuterhexe, welches Übel wirkst du hier im Wald.«
»Zama!«, rief Kella aus, und Ranis Herz wurde von gemischten Empfindungen überflutet. Auch Zama hatte sie vergiftet. Sie vergiftet, Versprechungen gemacht und sie dann betrogen, indem sie nicht eher zu Kella gekommen war.
»Kella, welchen Zweck könntest du verfolgt haben, als du illegalen Handel mit Mordana triebst? Du weißt,
Weitere Kostenlose Bücher