Die Gilden von Morenia 05 - Die Meisterschaft der Glasmalerin
gehören.«
»Es gab früher viele Kräuterhexen im Wald.«
»Aber jetzt nicht mehr?« Ranis Stimme versagte leicht, während sie ihre Geschichte sponn. »Es müssen viele Menschen bei dieser Hütte gewesen sein, vor noch nicht allzu langer Zeit. Das Gras war niedergetreten, und Pferde waren dort gewesen. Ihr Kot war noch frisch.«
»Ihr solltet im Wald nicht zu genau hinsehen.« Kellas Stimme war so scharf wie die Diamantklinge. Erneut verdunkelte Angst ihre Augen, Angst, die von etwas überlagert wurde, das Gier ähnelte. »Nicht wenn Ihr kein spezielles Wissen besitzt, Mädchen. Der Wald kann ein gefährlicher Ort sein.«
Rani hörte die Warnung, so offenkundig wie ihre eigene Frage. Die Gefolgschaft stand zwischen ihnen, so gnadenlos wie die Diamantklinge in Kellas Hand.
Die Kräuterhexe brach das Schweigen als Erste, nickte einmal, als hätte sie eine Entscheidung getroffen. »Wenn Ihr wirklich etwas über Kräuter lernen wollt, sind Eure Studien ohne Mädchenschleier nicht vollständig. Ich glaube nicht, dass es in Euren Wäldern im Norden wächst.«
»Mädchenschleier? Davon habe ich noch nie gehört.«
»Hier«, sagte die Hexe und fügte den bereits auf dem Tisch liegenden Anmachhölzern ein weiteres hinzu, bevor sie zur gegenüberliegenden Ecke ihrer Hütte schlurfte. Sie hob einen Stock zu den Dachsparren, einen kräftigen Zweig, der an einem Ende einen natürlichen Haken aufwies. Flinker, als Rani erwartet hätte, hob die Kräuterhexe einen zugeschnürten Sack von einem hohen Nagel.
Kella brachte den Schatz zum Tisch. »Lasst ihn mich öffnen.« Bevor sie den Sack jedoch aufschnürte, ging sie durch die Hütte zu einer Reihe von Holznägeln, die neben der Tür aufgereiht waren. Sie wählte ein langes, weißes Tuch, das wie eines von Pater Siritalanus Priestergewändern herabhing, und schüttelte den Kopf, während sie an Ranis Seite zurückkehrte. »Mädchenschleier. Ihr braucht Euch keine Gedanken darüber zu machen. Ihr seid eine junge Frau. Wenn ich den Staub jedoch einatme…«
Sie beendete den unheilvollen Gedanken nicht. Stattdessen band sie das Tuch um ihr Gesicht und wickelte es mehrmals darum, so dass es Nase und Mund bedeckte. Die Wirkung war beunruhigend. Rani konnte Kellas Lippen nicht mehr sehen, während sie sprach, konnte die winzigen Hinweise auf Sarkasmus und Wahrheit nicht mehr deuten. »Mädchenschleier besitzt in frischem Zustand keine Macht.
Die Blüten sind gewöhnlich weiß, mit einem Hauch Karmesinrot am Kelch. Sie haben vermutlich schon manchen Tisch verschönt, aber sie duften nicht, und die Blätter geben Tee kein Aroma.«
Während Kella sprach, machte sie sich an dem festen Knoten zu schaffen, der den Seidensack verschloss. Ihre Finger waren kräftig und drahtig. Ihre Hände gehörten einer viel jüngeren Frau. Hatte das Tovin angezogen? Hatte ihn das in die Hütte der Hexe, in ihr Bett gelockt?
Als sich der Knoten schließlich löste, öffnete Kella den Sack. Sie griff hinein und nahm behutsam einen Streifen sauberes Musselin hervor. »Eine zusätzliche Vorsichtsmaßnahme«, sagte sie, »für jemanden meines Alters.«
»Und was bewirkt Mädchenschleier in getrocknetem Zustand?«, fragte Rani und versuchte, trotz der Versicherung der Hexe, flach zu atmen, damit sie keinen Schaden nähme. Kella rollte den Seidensack in sich zusammen und offenbarte das staubige Grau einer getrockneten Pflanze. Ihre Blätter waren lang und schwertförmig. Dazwischen, auf schwachen Stängeln balancierend, befanden sich Ketten von Blüten. Wie Kella versprochen hatte, schimmerte jeder kleine Kegel weiß und wies im Kelch einen Hauch Karmesinrot auf, als wäre ein einzelner Blutstropfen den Blütenkelch hinabgeronnen.
Feuerschein fing sich in der nächstgelegenen Blüte, die Flammen in Regenbogenfarben von dem Staub reflektierte. Rani trat vor, von dem Regenbogeneffekt fasziniert. Kella hob die getrocknete Blüte an und drehte sie ein wenig, so dass das Feuer den karmesinroten Fleck berührte. »Es ist der Duft«, sagte sie. »Als getrocknete Pflanze verströmt Mädchenschleier einen mit nichts in den Wäldern vergleichbaren Duft. Er ist flüchtig, aber Ihr werdet ihn niemals vergessen, wenn Ihr einmal die Gelegenheit hattet, ihn zu riechen.«
Rani nickte und beugte sich näher heran. Sie roch noch immer nichts. Es waren so viele rivalisierende Gerüche in der Hütte – das Feuer im Kamin, der Lavendelgeruch, der vom Bett herüberwehte. Sie tat einen weiteren Schritt, so dass sie
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