Die gläserne Welt
um einen Ehescheidungsprozeß. Die Frau behauptete, von ihrem Gatten betrogen worden zu sein. Der Mann stritt es ab. Zeugenaussagen blieben undurchsichtig. Auch die von der Ehefrau bezichtigte ›Freundin‹ leugnete hartnäckig jede Schuld.
Das Gericht trat zusammen. Zwei Beisitzer, die man vereidigt hatte, bedienten sich je eines Lauschgerätes. Man stellte sich auf den Beklagten ein, der auf Geheiß des Vorsitzenden an den Richtertisch trat.
»Sie streiten ab, Ihre Frau betrogen zu haben?« fragte der Richter und blickte gespannt auf den Mann, in dessen Zügen es zuckte wie Wetterleuchten.
Der Angeredete gab keine Antwort. Er schien völlig verwirrt zu sein und schaute mit einem Ausdruck des Grauens die beiden Beisitzer an, die, seine Gedanken belauschend, sich eines Lächelns kaum noch erwehren konnten.
Im Kopfe des so in die Enge Getriebenen überstürzten sich die Gedanken: ›... verfluchte Schweinerei das! Daß sowas auch kommen mußte, mit dieser vermaledeiten Erfindung! Was nützt es, wenn ich jetzt abstreite? Nichts! Die anderen horchen ja doch gleich die Wahrheit aus mir heraus. Und Lilian wird nun auch nicht mehr leugnen können, man wird sie gleichfalls belauschen. Was soll ich nur sagen? Ich muß doch reden. Wie der Richter mich anglotzt! Verdammt ja, ich muß ihm doch eine Antwort geben. Egal – ich versuche es eben – trotz alledem ...‹
»Jawohl, ich streite es ab«, kommt es ihm von den Lippen. Da springen die beiden Beisitzer auf. »Er lügt!« sagt der eine, »das ist nicht die Wahrheit. In seinen Gedanken hat er sich schuldig bekannt.« Er schiebt ein Blatt vor den Richter hin. Es ist mit stenographischen Zeichen bekritzelt. »Bitte sehr, Sir – hier steht aufgezeichnet, was er gedacht hat.«
»Lesen Sie vor!«
Der Beschuldigte macht eine verzweifelte Armbewegung. Man sieht ihm an, daß er in diesem Augenblick alle Haltung verliert.
Der Beisitzer liest: »Verfluchte Schweinerei das! Daß sowas auch kommen mußte, mit dieser vermaledeiten Erfindung! Was nützt es, wenn ich jetzt abstreite? – Nichts! Die anderen horchen ja doch gleich die Wahrheit aus mir heraus ...«
»Halt!« rief der Richter und wandte sich wiederum dem Beklagten zu, »waren das Ihre Gedanken, Sir?«
Der Ehemann sackt in sich zusammen. Er hatte die Hände zu Fäusten geballt; seine Finger verkrampften sich. Er nickte nur stumm mit dem Kopf. Alles Abstreiten war hier sinnlos. Sein Prozeß war verloren, das sah er ein.
Eine Fortsetzung der Verhandlung erübrigte sich. Das Schuldbekenntnis genügte, um ein Urteil zu sprechen. Dieses Urteil schied den Mann von der Frau.
Im überfüllten Zuschauerraum entstand ein Gemurmel. Man war über die Kürze der Verhandlung enttäuscht. Jeder hatte erwartet, viel mehr zu hören, man hatte auf sensationelle Einzelheiten getippt. Gerade, wenn man Gedanken belauschte, – mußten da nicht die tollsten und die intimsten Dinge zutage kommen? Aber dies, ja, bei Gott! Dies war ja harmloser, als ein gewöhnlicher Scheidungsprozeß! Kein lüsterner Feinschmecker kam mehr auf seine Kosten. Dies neue Verfahren war von verblüffender Einfachheit.
Man arbeitete daraufhin neue Gesetze aus. Die ganze Prozeßgestaltung mußte verändert und konnte gewaltig vereinfacht werden. Verfahren, die sich ehemals wochenlang hinzogen, fanden an einem einzigen Tage ihre Erledigung; denn man brauchte den Schuldbeweis oder das Schuldbekenntnis, worauf es doch ankam, jetzt nicht mehr aus unzähligen Untersuchungen und Indizien sowie aus unzähligen Zeugenaussagen herauszuschälen – sofern es überhaupt dazu kam. Man las die Wahrheit der Tatsachen gegen die Lügen der Aussagen aus den Gedanken ab. Und hierbei konnte es keine Fehlschlüsse, keine Täuschungen geben. Es gab auch keinen Justizirrtum mehr. Alles war bis in die kleinsten und feinsten Winkel der Geschehnisse auszuleuchten. So verhalf die Taftsche Erfindung auch hier der Wahrheit und Klarheit zum Siege.
Auch Gloria hatte die erste nach dem neuen System geführte Gerichtsverhandlung, ihren einfachen, raschen und klaren Ablauf in der Presse mit dem größten Interesse verfolgt. Wenn sie auch auf Grund ihrer persönlichen Erlebnisse Wilburs und Georges Erfindung verwünschte, war sie doch so gerecht, die Bedeutung der Sache im Hinblick auf die Allgemeinheit voll anzuerkennen, und zwar die Bedeutung im guten Sinne.
Im Verhältnis zu kleinen Nachteilen, die sich einstellen mochten, blieben die Vorzüge ungeheuerlich. Am deutlichsten sah man
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