Die gläserne Welt
Gloria – hören Sie? Ich weiß ja – es bleibt alles ganz harmlos zwischen uns beiden. Sie können mich ja durchschauen, können mich jederzeit wieder belauschen. Ich bin nicht schlecht. Nein – ich bin nur manchmal in die Irre gegangen ...‹ – ›... ich glaube tatsächlich, ich sage zu. Bin doch schon direkt mit der Erfindung verwachsen. Mit Mr. Arland bin ich ja nicht verheiratet, da kann ich jederzeit gehen. Die Reise wird hochinteressant werden ...‹ – ›... wenn sie bloß keinen Anstoß daran nehmen wird, daß ich jetzt humple! ...‹ – ›... er humpelt – ach ja! Aber wie kann er so kindisch sein, zu denken, ich würde mich daran stoßen? Nein, George, ich stoße mich nicht daran. – Mein Gott, der Maler Milton – ich habe ihm doch versprochen ...‹ – ›Milton? Ein Maler? Was hat sie mit dem –? Wer ist das?‹ – ›... Jetzt denkt er schon wieder – nichts, gar nichts, George! Nur ein Bekannter, ist kürzlich berühmt geworden ...‹ – ›... schon gut, Gloria. Also hören Sie: Morgen Abend erwarte ich Sie hier in London ...‹
Beide trafen nähere Abmachungen. Daß Gloria mitkam, war nun eine beschlossene Sache. Unklarheiten hatten nicht aufkommen können.
Am gleichen Tage noch erfuhr alle Welt durch die Presse, daß Gloria Burns George Taft auf seiner großen Reise begleiten werde. Auf diese Weise erfuhr es auch Wilbur. Es gab ihm doch einen Stoß. Merkwürdig – irgendwie war er nicht damit einverstanden. Aber warum nicht? Konnte es ihm nicht gleichgültig sein? Oder war das, was Gloria tat, ihm doch immer noch wichtig?
Er stellte sich auf den Bruder ein. Aber da war im Augenblick nichts besonderes zu erlauschen. George beschäftigte sich mit einer Berechnung. Anschließend nahm er sich eine Zeitung vor. Wilbur mußte schon warten, bis sie beide wieder zu ihrem täglichen Gedankenaustausch kamen.
George staunte zunächst, als er Wilburs Gedanken vernahm. ›... Was ... dich hintergehen? Quatsch, Wilbur! ... Ich bin jetzt erst auf den Gedanken gekommen, Gloria mitzunehmen. Du kümmerst dich ja doch nicht um sie ...‹ – ›... Ich dachte ja auch, – aber jetzt, weiß der Teufel, das hätte ich wissen sollen! Dabei hatte ich selbst schon erwogen, ob ich nicht wenigstens streckenweise mitfliegen sollte ...‹ – ›... er denkt mitzufliegen! Das wäre fatal – verdammt – das kann er ja auch jetzt vernehmen – Wilbur! Was soll man da machen? ... Unlautere Absichten? Nein, habe ich nicht. Ich nahm an, daß alles klar wäre. Scheint aber nicht so ...‹
Es blieb kein Gedanke verborgen. Man konnte alles durchschauen. Neid, Mißgunst, Haß, alles schälte sich ebenso klar heraus, wie das Gute, Erfreuliche, Fördernde. Es galt nur eine neue Einstellung zu gewinnen. Man konnte nicht nur, – man mußte jeden Gedankenhieb auf der Stelle parieren. Es war eine ganz neue Kampfesweise; man war vorerst darin ungeschickt. Alles spielte sich in einem Blitztempo ab. Man fand keine Zeit dabei, Gedanken zurückzudrängen, – abgesehen davon, daß gerade die, die man fortdrängen wollte, wie zum Hohn mit besonderer Vehemenz immer wiederkehrten.
Folgerichtig kam es auch hier bald zur Klarheit. George erkannte mit Schmerzen, daß Gloria seinem Bruder doch noch nicht gleichgültig war. Auch Gloria würde das bald erfahren. Und dann –?
Höchst unangenehm war auch die Vorstellung, daß nun an diesen intimen Beziehungen zwischen ihnen jeder beliebige andere teilnehmen konnte. Sie hatte etwas sehr Quälendes, Beunruhigendes. Man könnte darüber verrückt werden. Niemand war jetzt mehr mit seinen Gedanken allein. Ob die Menschen das auf die Dauer ertragen würden –?
Auch Gloria stellte solche Betrachtungen an, als sie das Ergebnis ihrer stummen Gedankenzwiesprache mit George veröffentlicht sah.
Das ganze menschliche Leben, erkannte Gloria, wurde auf eine neue Basis gestellt. Es war die Basis absoluter Offenheit. Ob dem aber die Menschen gewachsen waren? Die Sonne der Wahrheit war hell und klar – aber was immerfort in der Sonne stand, mußte verdorren und ging schließlich ein. Es mußte auch Schatten geben. Die Menschen mußten auch ihre kleinen Geheimnisse haben können. Die aber gab es jetzt nicht mehr.
Tatsächlich gab es schon Leute, die bei der Unerträglichkeit solcher Erwägungen in Verzweiflung gerieten. Sie trugen sich mit Selbstmordgedanken. Aber sie wurden bei diesen Gedanken ertappt und konnten ihr Vorhaben nicht zur Ausführung bringen. – Man verhaftete einen Mann,
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