Die Glasblaeserin von Murano
entdeckte sie schließlich doch noch den Namen, den sie gesucht hatte: «Professore Ermanno Padovani.»
Er ist der Leiter der Abteilung für «Storia di Rinascimento» - Die Geschichte der Renaissance. Vielleicht habe ich tatsächlich Glück. «Padovani gran Dottore», das scheint wirklich zu stimmen.
Sie stieg die alte Treppe zur historischen Fakultät hinauf, ging die leeren Korridore entlang und sah dabei auf die Namensschilder an den Türen. Das fröhliche Geschrei der Studenten drang nur gedämpft bis hier herauf. Das ganze obere Stockwerk wirkte wie ausgestorben, daher hatte Leonora nur wenig Hoffnung, den Professore anzutreffen. Doch als sie schließlich vor seiner Tür stand, ertönte auf ihr Klopfen hin ein leises «Avanti» hinter der dicken Eichentür. Aufgeregt trat sie ein. Der Anblick, der sich ihr bot, ließ sie jedoch beinahe ihr Anliegen vergessen. An der gegenüberliegenden Wand befand sich ein großes Fenster, das durch ein überaus kunstvolles, verschlungenes Maßwerk im maurischen Stil in vier Teile geteilt wurde. Durch das Fenster fiel der Blick auf das Rialto-Ufer des Canal Grande, dessen Wellen die Mauern der prächtigen Paläste umspielten, als wollten sie ihre Schönheit unterstreichen. Leonora war so in den Anblick versunken, dass sie bei den Worten des Professors zusammenschrak.
«Dreißig Jahre an der Universität tätig zu sein hat den Vorteil, dass man das schönste Zimmer erhält. Der Nachteil dabei ist, dass ich dadurch manchmal kaum zum Arbeiten komme. Sie haben das Gebäude bestimmt durch die Hinterpforte betreten, nicht wahr? Schade. Dort hat man nicht die beste Aussicht.»
Leonora drehte sich zu dem alten Mann um, der sich gerade mit Hilfe eines Gehstocks von seinem Schreibtisch erhob. Er war eine gepflegte Erscheinung, hatte einen weißen Bart und blickte sie mit seinen durchdringend scharfen Augen freundlich, wenn auch leicht belustigt an. «Es ist einfach zu schön für eine -», begann Leonora entschuldigend.
«Für eine Universität, wollten Sie sagen? Nun, früher war die Ca' Foscari auch der Palast des Bischofs von Venedig, und Sie wissen ja, wie sehr die geistlichen Herren um ihr Wohlergehen besorgt waren. Aber Sie haben ebenso schöne Unterrichtsstätten in Ihrem Land, nicht wahr, Signorina? In Oxford und Cambridge zum Beispiel.»
Leonora war verblüfft. Sie war sicher gewesen, dass ihr englischer Akzent nicht mehr zu hören war. Trotzdem ärgerte sie sich nicht über die Bemerkung, sondern holte tief Luft. «Professore, entschuldigen Sie bitte die Störung. Doch wenn Sie einen Augenblick Zeit haben, würde ich Ihnen gern ein paar ... Fragen zur Geschichte Venedigs stellen.»
Der alte Herr lächelte, und dabei bildeten sich in den Augenwinkeln zahlreiche Fältchen. «Aber natürlich»,
erwiderte er. «Für die Tochter meiner alten Freundin Elinor Manin habe ich mehr als nur einen Augenblick Zeit. Wie geht es Ihnen, meine liebe Nora? Oder» - seine Augen funkelten - «sollte ich lieber Leonora sagen, jetzt, wo Sie ja eine ... Einheimische geworden sind?»
Leonora staunte, dass der Professore sie nach all den Jahren noch wiedererkannt hatte. Sie lächelte ihn an.
«Sie haben recht. Ich heiße tatsächlich Leonora. Ihr Gedächtnis ist wirklich hervorragend. Dass Sie sich noch an mich erinnern - ich muss damals etwa fünf Jahre alt gewesen sein.»
«Sechs», verbesserte Padovani sie. «Wir haben uns in London bei einem Umtrunk in der Universität kennengelernt. Sie haben mir damals ganz stolz Ihre neuen Schuhe gezeigt. Sie waren übrigens hübscher als die, die Sie jetzt tragen.» Damit wanderte sein Blick zu ihren Füßen in den abgetretenen Turnschuhen, mit denen sie leicht verlegen auf dem Boden herumscharrte. «Es ist übrigens nicht meinem Gedächtnis zu verdanken, dass ich Sie erkenne», klärte er sie auf. «Immerhin sind Sie ja mittlerweile eine Art... Berühmtheit.»
«II Gazzettino». Natürlich. In Venedig wurde die Zeitung fast in jedem Haushalt gelesen.
«Schon als Kind konnte man sehen, dass aus Ihnen mal eine Schönheit werden würde. Sie erinnern mich an die Primavera. Botticelli passt viel besser zu Ihnen als diese Tizian-Posen in den Anzeigen. Aber ich nehme an, das haben Sie alles schon oft zu hören bekommen und noch dazu von jüngeren Männern als mir.» Er lachte sie offen an. «Sie sind sicher nicht gekommen, um sich Schmeicheleien von mir anzuhören. Was kann ich denn für Sie tun?»
Von seiner charmanten Art ermutigt, kam
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