Die Glasblaeserin von Murano
ob es wahr ist.
Plötzlich erinnerte sich Leonora an das Angebot, das Alessandro ihr einmal gemacht hatte. «Als wir uns das erste Mal sahen, hast du gesagt, du könntest mir bei den Nachforschungen über meine Familie ... ich meine, über meinen Vater helfen. Ich habe in letzter Zeit viel darüber nachgedacht und würde gerne etwas über ihn in Erfahrung bringen. Hast du eine Idee, wie ich am besten vorgehe?»
Alessandro überlegte kurz. «Als deine Eltern zusammen in Venedig lebten, hatten sie da vielleicht irgendwelche Freunde oder Kollegen, die noch hier sind?»
«Ja, es gab jemanden. Einen Dozenten an der Ca' Foscari. Ich habe ihn einmal kennen gelernt, als ich noch klein war.»
«Kannst du dich an seinen Namen erinnern?»
«Padovani. Ich habe den Namen behalten, weil meine Mutter mir damals erklärte, dass er bedeutet. Sie hat mir einen alten Reim beigebracht...»
«Ach ja: »
«», ergänzte Leonora. «Ich habe mich immer gefragt, warum es für die Leute aus Vicenza typisch sein soll, Katzen zu essen. Aber wahrscheinlich ist das immer noch besser, als für verrückt erklärt zu werden wie die Veroneser.»
«Ja, aber am besten ist es, ein großer Herr zu sein wie die Venezianer», warf Alessandro nicht ohne Stolz ein.
«Auf jeden Fall schickt Dottore Padovani meiner Mutter nach wie vor zu Weihnachten eine Karte. Ich weiß allerdings nicht, ob er noch immer an der Ca' Foscari unterrichtet.»
Sie hörte, wie Alessandro am anderen Ende der Leitung gähnte. Er war offensichtlich müde, und doch schien er an ihrem Problem wirklich Anteil zu nehmen, «Dann solltest du wohl mal mit dem Mann reden, wenn er noch dort ist. Er weiß sicher etwas über deinen Vater oder kann dir einen Rat geben, wie du etwas über ihn in Erfahrung bringen kannst. Geh doch gleich morgen zu ihm.» Nach einer kurzen Pause fügte Alessandro hinzu: «Am Sonntag komme ich übrigens zurück, und dann können wir gemeinsam etwas unternehmen, wenn du Zeit hast.»
Sie umklammerte den Hörer, aufgeregt wie ein Teenager. Doch um sich ihre Begeisterung nicht allzu sehr anmerken zu lassen, nahm sie noch einmal das Thema von gerade auf. «Glaubst du wirklich, dass ich nach all den Jahren etwas über ihn in Erfahrung bringen kann?» Damit meinte sie in Wahrheit natürlich Corradino und nicht ihren Vater.
«Ja sicher. Er ist doch erst 1972 gestorben, oder? Und du weißt doch, wenn du etwas herauskriegen willst, ist es nicht schlecht, einen Kommissar zur Hand zu haben.» Sie sah sein Grinsen förmlich vor sich. Er versprach ihr noch einmal, dass sie sich am Sonntag sehen würden, und dann legte er auf.
Leonora war fest entschlossen, das Geheimnis um Corradino zu lüften, und konnte es kaum erwarten, den Dottore aufzusuchen. Sie wusste selbst nicht, warum sie Alessandro nicht die Wahrheit gesagt und ihn in dem Glauben gelassen hatte, es ginge ihr nur darum, etwas über ihren Vater zu erfahren.
Ich will einfach nicht, dass er schlecht über Corradino denkt. Erst muss ich den Beweis erbringen, dass an Robertos Anschuldigungen nichts Wahres ist, dann kann ich ihm alles erzählen.
Sie schlief schlecht, und am nächsten Morgen war ihr wieder übel. Das sind die Nerven, dachte sie.
Aber im Grunde weiß ich, dass es nicht die Nerven sind.
Leonora betrat das Universitätsgelände der Ca' Foscari durch die unauffällige Seitenpforte von der Calle dell Foscari aus und fand sich sogleich mitten in einem ohrenbetäubenden Tumult wieder. Obgleich es Samstagmorgen und damit ein regulärer Unterrichtstag für die meisten Studenten war, schien irgendeine ausgelassene Feier im Gange zu sein. Leonora fühlte sich an ihre eigene Studienzeit auf dem St.-Martins-College erinnert. Damals hatte sie sich für den alljährlichen Studentenumzug immer als Krankenschwester verkleidet und zusammen mit einigen Kommilitonen ein Krankenhausbett die Charing Cross Road entlanggerollt.
Während sie über den Rasen auf die Gebäude zuging, musste sie sich mehr als einmal ducken, da ihr von allen Seiten Eier und Mehl um die Ohren flogen.
Wahrscheinlich feiern sie ihren Promotionsabschluss. Irgendwo habe ich gelesen, dass italienische Studenten sich mit Backzutaten bewerfen, wenn sie ihren Doktor gemacht haben.
Kurze Zeit später überflog Leonora auf der verglasten Anschlagtafel mit wachsender Enttäuschung die Liste der Dozenten, aber dann
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