Die Glasblaeserin von Murano
über ihre begeisterte Begrüßung. Offensichtlich allerbester Laune, begann er von dem Lehrgang zu berichten, den er gerade absolvierte und der aus ihm einen commissario machen sollte.
Leonora brachte es nicht fertig, seine Hochstimmung mit ihren Sorgen zu trüben. «II Gazzettino» war eine Lokalzeitung, daher hatte er in Vicenza vermutlich noch nicht von den Vorwürfen gehört die auf Corradinos und damit auch auf ihrem eigenen Namen lasteten. Das alles konnte sie ihm immer noch berichten, wenn sie sich wiedersahen.
Während Alessandro ihr von seiner Ausbildung erzählte, legten sich Leonoras Furcht und Panik ein wenig. Beim Klang seiner Stimme wurde sie zunehmend ruhiger. Allmählich richtete sich ihr Selbstbewusstsein, das Roberto mit Füßen getreten hatte, wieder auf. War es nicht wahrscheinlicher, dass Corradino niemanden verraten hatte? Das Ganze war bestimmt nur eine üble Nachrede, die sein Rivale damals in die Welt gesetzt hatte. Und was spielte es unter dem Strich überhaupt für eine Rolle? Corradino war längst tot - sein Werk bestand weiter und sprach für ihn.
Leonora seufzte. Seit diesem Tag war nichts mehr so gewesen wie zuvor. Das Vertrauen in Corradino und die Zuversicht, die sie an jenem Abend nach dem Gespräch mit Alessandro verspürt hatte, hatte nur wenige Tage überdauert. Robertos Giftpfeile waren wohl platziert gewesen und hatten ihre Wirkung nicht verfehlt. Hatte man sie vorher bei der Arbeit geschnitten, so wurde es nach Robertos Enthüllung unerträglich. Sein böser Blick während der Arbeit war an Leonora abgeprallt, die sämtlicher Vetraie ließen sie Tag für Tag Spießruten laufen. Robertos Neid und Eifersucht hatte sie sich nicht zu Herzen genommen, doch der unausgesprochene Vorwurf ihrer Kollegen, ihr Vorfahr sei ein Betrüger und Mörder gewesen, hatte sie in den vergangenen vier Monaten mehr als einmal in ihren Grundfesten erschüttert. Adelino war ihr keine große Hilfe gewesen, er musste jetzt, da seine letzte Hoffnung - die Kampagne - gescheitert war, um das Überleben der Fondaria kämpfen. Traf sein Blick einmal den Leonoras, so schien darin ebenfalls ein Vorwurf zu liegen und trug somit nicht gerade dazu bei, dass sie sich besser fühlte.
Mittlerweile war es in Venedig Herbst geworden. Auch diese Jahreszeit verlieh der Stadt einen besonderen Zauber, doch Leonora hatte schon längst keinen Blick mehr für die Schönheit der Lagunenstadt übrig. Die vergangenen Monate waren für sie nicht leicht gewesen. Ihr Ziel, Glasbläserin zu werden, hatte sich zwar erfüllt, doch zu welchem Preis? Ihre Gesundheit war nach wie vor angegriffen - oft musste sie sich übergeben -, und sie fühlte sich ohne die Unterstützung Corradinos verloren. Mehr als einmal fragte sie sich, ob Venedig wirklich ihre Heimat war oder nur ein schöner Traum, dem sie langsam abschwören musste.
Alessandro hatte sie in dieser Zeit nur selten gesehen, und bei diesen Gelegenheiten hatte Leonora weder das Herz noch Lust gehabt, ihn mit ihren Problemen zu belasten. Dazu war die wenige Zeit, die sie zusammen hatten, zu kostbar, daneben fürchtete sie, dass er nicht verstehen würde, warum sie ihre Zukunft in dieser Stadt von einem längst verstorbenen Familienmitglied abhängig machte. Alessandro, der in den vergangenen Monaten in Vicenza gelebt hatte, um seinen Lehrgang zu absolvieren, hatte seine eigenen Sorgen gehabt. Er befand sich gerade in den Prüfungen; heute Abend würde sie erfahren, ob er bestanden hatte oder nicht.
Wie aufs Kommando läutete das Telefon.
«Alessandro!» Wenn er wüsste, wie sie sich freute, wenn sie nur seine Stimme hörte.
«Commissario Bardolino, wenn ich bitten darf.»
«Du hast bestanden!»
«Ja.» In seinen Worten klang Stolz mit. «Ich muss hier noch ein kurzes Einführungspraktikum hinter mich bringen, danach fange ich in meiner Abteilung in Venedig an.»
Leonora freute sich mit ihm. Mochte es auch teilweise die Familientradition gewesen sein, die bei seiner Berufswahl eine Rolle gespielt hatte, so sprach seine Begeisterung doch Bände. Als sie seinem Bericht von der Prüfung lauschte, schoss ihr ein Gedanke durch den Kopf, der sie nicht mehr losließ.
Auch ich habe mein Ziel verwirklicht. Spielt es wirklich eine so große Rolle, ob Corradino ein Verräter war? Ist mein Glück nicht unabhängig von dem meiner Vorfahren? -Ja, es spielt eine Rolle. Hier in Venedig kann man seiner Vergangenheit nicht entkommen, sie lebt mit einem. Ich muss einfach herausfinden,
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