Die Glasblaeserin von Murano
habe nichts von Ihnen verlangt.» Leonora war zum Weinen zumute - es hörte sich so an, als wäre sie an allem schuld. Dabei hatte sie doch gar nicht bei dieser Anzeigenkampagne mitmachen wollen.
«Ich würde Ihnen so gern sagen, dass Sie wiederkommen können. Aber die Wahrheit ist, ich weiß es einfach nicht. Und angesichts dieser ganzen Zeitungsartikel ist Ihre Anwesenheit hier auch ein wenig ...»
«Peinlich?», beendete Leonora den Satz für ihn.
Adelinos Augen, die ohne Brille ganz klein und fremd wirkten, wichen ihrem Blick aus.
Es gab noch etwas, das sie wissen musste. «Und Roberto? Werden Sie ihn wieder einstellen?»
«Sie haben mir nicht zugehört, Leonora. Zurzeit kann ich niemanden einstellen, egal wie tüchtig er ist.»
«Aber Sie haben es versucht, nicht wahr?»
Adelino stieß einen tiefen Seufzer aus. «Ja, ich habe ihn aufgesucht, doch er war nicht da. Die Nachbarn sagten mir, dass er fortgegangen sei.»
«Fort? Wohin?»
«Sie wussten es nicht. Vielleicht ins Ausland.»
Leonora schaute ihn an. Sie wäre gern wütend auf ihn gewesen, doch stattdessen hatte sie Mitleid mit ihm. Der einzige Lichtblick in dem ganzen traurigen Gespräch war, dass sich Roberto nicht mehr in der Stadt aufhielt.
Sie stand auf, ohne ein Wort zu sagen, stieg die Treppe hinunter und ging durch die warme Feuerschutztür in die Werkstatt. Die Männer hörten auf zu arbeiten und starrten sie an. Sie spürte zwar nach wie vor die Ablehnung,
die ihr entgegenschlug, doch jetzt, wo Roberto nicht mehr da war, war die Gefahr für sie gebannt. Zum letzten Mal nahm sie die Hitze der Glasöfen wahr, die sie so geliebt hatte. Die Vetraie nahmen ihre Arbeit wieder auf und schwenkten ihre Glasmacherpfeifen wie Uhrpendel, um die Glasmasse abzukühlen. Tick, tack. Die Zeit war um. Leonora ließ ihre Augen durch die Werkstatt wandern und betrachtete die Stücke aus Glas, die überall herumstanden und in allen Farben des Regenbogens leuchteten. Als sie den Quarzsand und Schwefel roch, musste sie sich umdrehen, um ihre Tränen zu verbergen. Ihre widerstreitenden Gefühle brachten sie ganz durcheinander. Einerseits war sie glücklicher als jemals zuvor. Sie würde ein Kind bekommen, jeden Tag wurde es in ihrem Leib ein klein wenig größer. Andererseits war sie gerade im Begriff, das zu verlieren, weshalb sie hergekommen war: die Möglichkeit, kreativ zu sein und mit dieser Kreativität ihren Lebensunterhalt zu verdienen.
Draußen warf sie noch einen letzten Blick auf das Straßenschild.
Die Fondamenta Manin. Wenn sich doch nur herausstellen würde, dass Corradino unschuldig war! Dann wäre er in den Augen der anderen wieder ein Held und könnte mir helfen, diesen Ort zu retten, an dessen Ruin ich mich mitschuldig fühle.
Kapitel 25
Der König
Corradino war übel. Er wusste nicht zu sagen, ob der Gestank draußen oder der in der Kutsche schlimmer war. Durch die Fenster drangen der Lärm und der faulige Geruch von Paris herein, und drinnen setzte ihm das schwere Parfüm Duparcmieurs zu, der sich mit Galarobe und gepuderter Perücke für die Audienz beim König zurechtgemacht hatte. Auch Corradino war in edlen Brokat gekleidet. Im Laufe seiner Reise nach Paris hatte er sich von dem schlammbedeckten Wesen, das buchstäblich von den Toten auferstanden war, in einen eleganten Beinahearistokraten verwandelt. Aber so schlecht wie jetzt war ihm noch nicht einmal gewesen, als er vom Fischerkahn auf ein größeres Boot und dann auf ein Schiff verfrachtet worden war, das wie ein Spielball auf den Wellen getanzt hatte.
Paris war für ihn die Hölle. Was er an der Stadt besonders bedrückend fand, waren die weiten Räume. Die schmalen Kanäle und engen Gassen von Venedig und Murano hatten ihm ein Gefühl der Sicherheit gegeben, hier jedoch, auf den breiten Straßen, fühlte er sich ausgeliefert und verwundbar.
Und dann der Gestank.
Über allem waberte der Geruch nach Unrat - kein Wunder, dass sich Duparcmieur ständig ein parfümiertes Taschentuch vor die Nase hielt. In Venedig wurden Abfälle durch die Gezeiten schnell und gründlich beseitigt. Man warf seinen Dreck einfach in einen der Kanäle, die vor jedem Haus verliefen, oder verrichtete seine Notdurft direkt ins Wasser. Hier jedoch hatte es den Anschein, als sei die Seine eine einzige Kloake, deren träge braune Fluten ihren stinkenden Pesthauch in der ganzen Stadt verbreiteten. Und dieser Krach! In Venedig war kaum ein Laut zu vernehmen, außer dem leisen Plätschern, wenn die
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