Die Glasblaeserin von Murano
Wort, mein Lieber. Ich weiß ja nicht, wie ihr das in Venedig haltet, aber in Frankreich ist das Ehrenwort eines Mannes bindend.»
«Oh, in Venedig auch. Selbst die Zehn halten immer ihr Wort, im Guten wie im Bösen.»
«Dann wisst Ihr ja, was ich meine. Ich hatte mir vorgestellt, dass Ihr zwölf Monate für uns arbeitet: Einen Monat lang unterweist Ihr unseren Glasmeister in der Spiegelherstellung, danach überwacht Ihr die Arbeiten im Schloss.
Nach diesem Jahr bringen wir Euch Leonora. Dann seid Ihr frei und könnt hier entweder weiter als Glasbläser arbeiten oder mit ihr fortgehen - ganz wie Ihr wollt.» Das klingt zu schön, um wahr zu sein.
«Der Meister in Eurer Glashütte, was ist das für ein Mann?»
«Sein Name ist Guillaume Seve. Er ist schon älter und ein sehr erfahrener Handwerker.» Corradino schüttelte den Kopf. «Das würde nicht gutgehen. Ich brauche einen jungen Mann, einen, der begabt und lernwillig ist und sich noch keine falschen Arbeitsweisen angewöhnt hat. Er sollte von mir lernen wollen und nicht älter sein als ich.»
«Gut.» Duparcmieur dachte einen Augenblick lang nach. «Dann wäre wohl am besten Jacques Chauvire geeignet.
Er ist noch ein Lehrling, aber sehr begabt. Und er ist erst einundzwanzig.»
Corradino nickte. «Ausgezeichnet. Aber es wird viel Zeit - weit mehr als einen Monat - und Mühe erfordern.
Solche Dinge kann man nicht im Handumdrehen lernen.»
Duparcmieur lehnte sich zurück. «Das ist gar kein Problem», erwiderte er gelassen. «Ihr werdet alles bekommen, was Ihr braucht - Zeit, Material, Arbeiter. Es wird ein einzigartiger Palast, Ihr werdet schon sehen.»
Das Schloss war schon jetzt einzigartig, Duparcmieur hatte recht gehabt. Corradino saß mit dem Rücken zu dem halb fertigen Gebäude und blickte auf die Gartenanlagen. Das Leder seiner neuen Arbeitsschürze und der Ledermanschetten duftete süß. Corradino lehnte sich gegen die frisch behauenen Steinblöcke, die ganz warm von der Sonne waren, und schaute den Gärtnern zu. Sie waren damit beschäftigt, endlos erscheinende Rasenflächen anzulegen, während andere Arbeiter natürliche Wasserläufe in riesige Zierteiche umleiteten, die sich vor Corradinos Augen füllten und selbst große Spiegel bildeten. Trotz der hell klingenden Schläge der Maurerhämmer und der Geräusche, die aus der Schreinerwerkstatt drangen, empfand Corradino zum ersten Mal, seit er in Frankreich war, innere Ruhe und Frieden. In dem Moment schob sich ein Schatten vor die Sonne, und als Corradino aufsah, stand ein schlaksiger Junge mit zerzaustem Haar und dunklen Augen vor ihm und streckte ihm die Hand entgegen. «Ich bin Jacques Chauvire.»
Corradino ergriff die Hand und zog sich daran hoch. Der Junge, der einen Handschlag erwartet hatte, lächelte überrascht. Corradino blickte ihm in die Augen. Es waren gute Augen, dunkel und ehrlich. Nicht wie bei Duparcmieur, dessen Blick er nie richtig zu deuten wusste. Außerdem trug der Junge den Namen Jacques, die französische Version von Giacomo, und erinnerte ihn damit an den Freund, den er in Venedig zurückgelassen hatte.
Kapitel 26
Im Fegefeuer
Sobald ich die Fondaria von Versailles betrat, war ich endlich wieder zu Hause.
Als Jacques die Werkstatt aufschloss, zu der nur er und sein neuer Lehrmeister einen Schlüssel besitzen würden, sah Corradino sofort, dass man ihm alles zur Verfügung gestellt hatte, was er benötigte. In dem Raum standen Bottiche mit Wasser sowie Versilberungswannen. Der Glasofen war bereits mit rot glühender Glasschmelze bestückt worden. Außerdem gab es Pontils, Glasmacherpfeifen und Holzpaddel, dazu die Formsättel und Zangen. Und da befanden sich auch seine Pigmente, unter anderem Lapislazuliblau, Rot und Blattgold. Die Flaschen und Kolben enthielten Nitrate, Sulfate und Quecksilber. Hier fühlte er sich endlich wieder sicher und konnte mit der Arbeit beginnen.
Nach den langen Wochen auf See und auf der Landstraße juckte es Corradino in den Fingern, die Werkzeuge zur Hand zu nehmen und etwas Neues zu schaffen. Da er bisher stets allein gearbeitet hatte, erschien ihm Jacques' Anwesenheit zunächst sehr ungewohnt. Nun war also der Tag gekommen, an dem er die Geheimnisse seiner Arbeit mit einem anderen teilen musste, so schwer es ihm auch fiel. Zwar hatte er keine Angst, dass der Junge ihn an Kunstfertigkeit jemals übertreffen könnte. Doch seit zehn Jahren war er der Einzige gewesen, der Spiegel auf diese besondere Weise herstellte, und
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