Die Glasblaeserin von Murano
Von dieser Überzeugung ließ er sich nicht abbringen.
Den ganzen Vormittag über behandelte er sie, als sei sie tatsächlich aus Glas. Er brachte ihr Wasser, holte einen Sessel für sie und nahm ihr selbst die leichtesten Arbeiten ab. Belustigt und auch erleichtert zog sie ihn mit seiner übertriebenen Fürsorglichkeit auf.
Und dennoch ...
Nur allzu bald war er wieder fort. Morgen fing sein Praktikum an, bereits am Nachmittag musste er fort, um sich darauf vorzubereiten. Sein überaus zärtlicher Abschiedskuss konnte Leonora nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie die ganze Woche allein sein würde. Und wenn er später seine Stelle in Venedig antrat, was würde dann sein?
Ich wage gar nicht zu fragen.
Nachdem Alessandro fort war, wanderte Leonora ruhelos durch die Wohnung, nahm Arbeiten in Angriff, die sie dann doch nicht zu Ende brachte, und entschloss sich schließlich, in die Sansoviniana-Bibliothek zu gehen und Nachforschungen über Corradino anzustellen. Sie hatte an diesem Tag wegen Alessandro Urlaub genommen, morgen würde sie dann wie immer in die Fondaria gehen - mit dem Unterschied, dass sie Adelino die Neuigkeit beibringen und sich seinem Zorn stellen musste.
Und was wird dann?
Sie durfte sich nichts vormachen. Bei aller Begeisterung über ihre Schwangerschaft hatte Alessandro doch kein einziges Wort über eine gemeinsame Zukunft verlauten lassen. Sie hatten nur über das Kind gesprochen, und auch wenn Leonora keinen altmodischen Heiratsantrag erwartet hatte, kam es ihr doch ein wenig seltsam vor, dass er nicht vorgeschlagen hatte, dass sie zusammenzogen.
Während Leonora den campo überquerte, hatte sie das Gefühl, die Stadt weiche vor ihr zurück. Hatte sie ihr erst die wahre Liebe geschenkt und ihren Traumjob ermöglicht, schien sie ihrjetzt beides wieder zu entreißen. Venedig kam ihr kalt und leer vor. Leonora dachte an die Touristen und Ausflügler, die Bummler und Müßiggänger, die zu den anderen Jahreszeiten Venedig bevölkerten. Sie sahen die Stadt nie so, wie sie jetzt war. Dieses Gesicht zeigte sie nur den Einheimischen - die dunklen Tage, die alten Gemäuer im kalten Novemberlicht und die Leere. Leonora schritt mit hoch erhobenem Kopf dahin und versuchte, nur an ihr Kind zu denken.
Ich muss alles über Corradino herausfinden, bevor das Baby zur Welt kommt. Ich muss mit meiner Vergangenheit ins Reine kommen, bevor ich mich der Zukunft zuwenden kann. Denn Corradino gehört auch zur Vergangenheit des Kindes.
Kapitel 24
Verbannt
«Es tut mir leid, Leonora.»
Gerechterweise musste sie zugeben, dass er so aussah, als meine er ernst, was er sagte. Abgesehen davon wirkte Adelino alt und krank.
«Ich musste die Kampagne abblasen, ich hatte keine andere Wahl. Und nun sitzen mir meine Gläubiger im Nacken. Ich kann es mir einfach nicht leisten, Sie länger zu beschäftigen.» Wie so oft ging er zum Fenster seines Büros, vermutlich, um Trost in der unvergleichlichen Aussicht zu suchen.
Leonora spürte ein Ziehen im Bauch.
War das das Baby? Oder der Schreck darüber, dass ich gerade die Stelle verloren habe, für die ich eigentlich nach Venedig gekommen bin?
Adelino drehte sich gerade rechtzeitig um, um zu sehen, wie sie eine Hand auf ihren Leib legte, und deutete mit einer vagen Geste darauf.
«Und jetzt noch Ihre ... großartigen Neuigkeiten. Es geht auch wegen Ihrer Gesundheit nicht mehr. All die Chemikalien und Pigmente, die wir hier verwenden, von der Hitze ganz zu schweigen ... Sie müssten sowieso irgendwann aufhören. Wann ist es so weit? Sie sagten Anfang März, oder?»
Sie nickte.
«Also sagen wir, Sie gehen frühzeitig in Mutterschaftsurlaub.» Er ließ sich schwerfällig an seinem Schreibtisch nieder. «Ich muss sehen, wie es hier weitergeht. Mir bleibt erst einmal nichts anderes übrig, als Personal abzubauen.»
Leonora hatte ihre Stimme wiedergefunden. «Und später?»
Adelino schüttelte betrübt den Kopf, «Ich weiß es wirklich nicht. Es hängt davon ab, wie sich das Geschäft entwickelt. Zwischen Weihnachten und Karneval haben wir immer eine Flaute. Das könnte mir im nächsten Jahr den Rest geben.» Er nahm seine Brille ab und rieb sich die müden Augen. «Um ehrlich zu sein, Leonora, außer Ihrem restlichen Lohn kann ich Ihnen nichts zahlen. Ich nehme an, Sie könnten mich auf die Zahlung von Mutterschaftsgeld, oder wie immer das heißen mag, verklagen. Aber ich habe einfach kein Geld. Die Kampagne hat alles verschlungen, was ich noch hatte.»
«Ich
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