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Die Glasblaeserin von Murano

Die Glasblaeserin von Murano

Titel: Die Glasblaeserin von Murano Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Fiorato
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Gondeln elegant durchs Wasser glitten. Laut war es nur zu Karneval, wenn der fröhliche Lärm der Feiernden an nahezu jeder Ecke ertönte. Hier dröhnte Corradino der Kopf vom Klappern der Pferdehufe und dem Gerumpel der Karren und Kutschen. Vor seiner Reise hatte er nie mehr Pferde auf einmal gesehen als die vier Bronzestatuen, die von der Spitze der Basilica di San Marco aus schweigend Wache über der Stadt hielten. Hier gab es diese Kreaturen zu Tausenden - groß waren sie, hässlich und unberechenbar. In allen Straßen dampften ihre Hinterlassenschaften, über die die gut gekleideten Bürger ungerührt hinwegstiegen.
    Die Gebäude waren zwar groß und prächtig, ließen aber das zierliche Maßwerk der venezianischen Paläste am Canal Grande vermissen. Bis hinauf in den Himmel schwangen sich die gezahnten Doppeltürme einer großen weißen Kirche.
    «Schaut nur», sagte Duparcmieur. «Die Wasserspeier da oben beobachten uns.»
    Was für ein komisches Wort. Was er wohl damit meint?
    Corradino reckte den Hals aus dem Kutschenfenster. Weit droben an der Kirchenfassade hockten steinerne Dämonen und starrten drohend auf ihn herab. Erschrocken zog er den Kopf ein. Ihn ergriff eine heftige Sehnsucht nach seiner Heimatstadt.
    «Wir sind da», sagte Duparcmieur. Kaum hielt die Kutsche, eilte schon ein Lakai herbei und öffnete den Schlag.
    Der goldene Audienzsaal des Königs war zwar prachtvoll,    dachte Corradino, doch nichts gegen den Palazzo Ducale, wo er einst mit seinem Vater eine Audienz beim Dogen hatte. Die größte Überraschung aber war Ludwig XIV. selbst.
    Auf einem Podest stand ein kunstvoll geschnitzter Sessel. Darin hockte vornübergebeugt der Monarch, das Gesicht hinter den Locken seiner Perücke verborgen, und spielte mit einem Hündchen, das um seine beringte Hand herumtollte. Das Tier versuchte, an den Leckerbissen zu gelangen, den der König in seiner fettgepolsterten Hand verborgen hielt. Corradinos scharfem Blick entgingen weder die kostbaren Ringe an den dicken Fingern noch der weiße Puder, der sich in den Falten der königlichen Hände gesammelt hatte. Obwohl Duparcmieur und Corradino angekündigt waren, schien der französische Herrscher in ein Selbstgespräch vertieft.
    «Ein Geschenk des Königs von England. Epagneul de roi Charles - .» Unvermittelt begann Ludwig XIV. seltsame Laute auszustoßen, die wie das Schnüffeln eines Trüffelschweins klangen. Offensichtlich hatte er einen Anfall! Corradino erwartete, dass die königlichen Leibdiener mit einem Heiltrank herbeieilen oder eine Feder unter der Nase des Herrschers verbrennen würden, doch nichts dergleichen geschah. Da wurde Corradino plötzlich klar, dass er lachte!
    «Der englische König ist ein Hund! Der englische König ist ein Hund! Und ein kleiner noch dazu!» Ludwig lachte noch eine ganze Weile über seinen eigenen Witz, dann nahm er das Spiel mit dem Hündchen wieder auf. «Ich werde dich Minou nennen. Ein guter französischer Name. Ja, das mache ich.»
    Ungeduldig umkreiste der Spaniel die geschlossene Hand, bis der König endlich die Leckerei freigab. Der Hund verschlang die Praline, dann hockte er sich hin    und setzte vor Anstrengung zitternd einen Haufen auf den unermesslich wertvollen persischen Teppich. Wie gebannt und ohne einen Laut starrte die Hofgesellschaft auf die Bescherung. Corradino wartete wie sie darauf, dass Ludwig XIV. einen Wutanfall bekommen würde. Stattdessen warf dieser den Kopf zurück und stieß erneut sein merkwürdiges Lachen aus. Da konnte Corradino endlich sein Gesicht sehen. Es war verkrampft, verzerrt wie das der Wasserspeier auf dem Turm. Die zusammengekniffenen Augen tränten, und aus der Nase lief ein wenig Schleim. Leicht verächtlich blickte Corradino auf diesen Mann, der als der größte Monarch der Christenheit galt. Dann warf er einen Blick zu Duparcmieur hinüber. Der wollte sich soeben mit einer tiefen Verbeugung zurückziehen, in der Annahme, dass die vorgesehene Audienz ausfallen würde. Corradino tat es ihm nach, doch sie hatten noch nicht die Tür erreicht, als eine Stimme ertönte.
    «Duparcmieur!»
    Die beiden, die den Raum rückwärts - so, wie es die Sitte am Hofe des Sonnenkönigs verlangte - verließen, schauten auf. Sie sahen einen völlig veränderten Mann auf dem Thron sitzen. Der Gesichtsausdruck des Königs wirkte gesetzt, seine Locken waren geordnet, der Blick hart und scharf.
    «Also habt Ihr mir den Venezianer tatsächlich gebracht, der meinen

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