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Die Glasblaeserin von Murano

Die Glasblaeserin von Murano

Titel: Die Glasblaeserin von Murano Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Fiorato
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erreichte Corradino das Ende des Friedhofs. Er richtete sich ein wenig auf und erblickte in der Ferne die vielen erleuchteten Fenster von San Marco, die durch die Nacht schimmerten. Vor ihm am Ufer machte gerade ein Fischerkahn fest, aus dem eine in einen dunklen Umhang gehüllte Gestalt stieg. Augenblicklich kam ihm das schwarze Phantom in den Sinn, das in der Fondaria nach ihm gesucht hatte, als er zehn war. War der Engel des Todes gekommen, ihn zu holen? Sein Angstschweiß mischte sich mit dem Regen, während er auf die Gestalt zuging und die vereinbarte Losung krächzte.
    «Vicentini mangia gatti.»
    Umgehend kam die Antwort: «Veronese tutti matti.»
    Corradino hätte nie gedacht, dass er sich einmal derart    freuen würde, Gaston Duparcmieur zu sehen. Als er dessen ausgestreckte Hand ergriff, um sich an Bord helfen zu lassen, hätte er vor Freude weinen können.
    Während Corradino zusammengekauert und frierend im Heck des Kahns hockte, der sie mit Hilfe lautloser Ruderschläge über die Lagune trug, musste er an die Losungsworte denken. Die Veronesen waren in der Tat verrückt - Giulietta war Veronesin, und sie musste wirklich wahnsinnig gewesen sein, sich freiwillig den Strapazen zu unterziehen, die er soeben durchgemacht hatte. Doch er verbesserte sich sofort.
    Sie war nicht wahnsinnig. Sie tat es aus Liebe. Ebenso wie ich.
     

Kapitel 23
    Das Gefäß
    Da hat man sich etwas so lange gewünscht, hat so lange gehofft ... Und dann, endlich, bekommt man, was man will -und es erfüllt einen gleichermaßen mit Freude und mit Schrecken. Venedig ist wie ein Prisma. Das weiße Licht fällt hinein und bricht sich darin in allen Farben des Regenbogens. Alles ist hier anders. Ich bin anders.
    Leonora lag neben Alessandro, die Hände auf ihren nackten Bauch gelegt, als wolle sie das Kind darin berühren. Wie schon so oft war sie vom Glockengeläut der vielen Kirchen geweckt worden, während Alessandro, der daran gewöhnt war, weiterschlief. Sie musste an die Zeilen aus Shakespeares «Sturm» denken:
    «Du musst dich nicht fürchten; diese Insel ist voll von Getöse, Tönen und anmutigen Melodien, welche belustigen und keinen Schaden tun ...»
    Es störte sie nicht, so aufzuwachen - im Gegenteil, sie ließ sich sogar gern von den Glocken aus ihren Träumen reißen. Dann genoss sie das goldene Morgenlicht, betrachtete Alessandros breiten Rücken, strich hin und wieder sacht über sein weiches Haar und ließ ihre Gedanken müßig schweifen. Heute jedoch waren die Gedanken sehr konkret: Sie kreisten um das auch jetzt immer noch Unfassbare, das mit ihr geschehen war, und um die Frage, was es für ihr zukünftiges Leben bedeutete. Praktische Fragen - Wie sollte sie es Adelino beibringen? Was war mit ihrem Job? Hatte sie überhaupt noch einen, wenn sie ihr Geheimnis offenbarte? - wechselten sich ab mit Phantasievorstellungen: sie mit einem blond gelockten Kind im Arm, zusammen mit Alessandro in einer Gondel sitzend, die unter der Seufzerbrücke hindurchfuhr. Doch trotz dieser idyllischen Bilder kreisten ihre Gedanken am Ende immer wieder um die Frage, wie sie Alessandro die Neuigkeit beibringen sollte.
    Neuigkeit? Ich habe weiß Gott mehr als genug Zeit gehabt, mich auf dieses Gespräch vorzubereiten. Und was habe ich stattdessen getan? Es erst ignoriert, dann immer wieder aufgeschoben, mich davor gedrückt. Aber nun kann ich es nicht länger verheimlichen - es ist sowieso ein Wunder, dass es keinem aufgefallen ist. Außerdem hat er ein Recht darauf, es zu erfahren ...
    All die Jahre lang hatte sie gedacht, sie sei «unfruchtbar». Dieses etwas altmodische Wort passte gut zu ihrem alten Leben - nicht nur in Bezug auf die Kinderlosigkeit    sondern auch zu ihrer immer pragmatischer werdenden Beziehung zu Stephen und dem Gefühl, einsam und verlassen zu sein. Unfruchtbar - das ließ an ein ödes, schwarzes Moor denken, menschenleer und ohne eine Spur von Leben. Diese Unfruchtbarkeit war schließlich zu einem Teil ihres Selbst geworden. Deshalb hatte sie auch mit Alessandro geschlafen, ohne sich vor einer Schwangerschaft zu schützen.
    Ich war mir doch so sicher.
    So sicher, dass nichts passieren konnte, dass sie sogar die bald folgende morgendliche Übelkeit nicht beachtet hatte. Das Ausbleiben ihrer Periode hatte sie dem Stress und Ärger bei der Arbeit sowie der Aufregung um Corradino zugeschrieben. Endlich aber hatte sie die Anzeichen nicht länger ignorieren können und erkennen müssen, dass ihr Körper doch fruchtbar

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