Die Glasblaeserin von Murano
Blautöne im geblasenen Glas miteinander verschmolzen, das Ganze dann in Eiswasser getaucht wurde und sich so feine Risse an der Oberfläche bildeten.
Corradino hatte die ghiaccio-Technik vervollkommnet, indem er Silbersulfat auf das Eiswasser schüttete. Das Metallpulver drang in die Risse im Glas ein und wurde darin eingeschlossen, wenn das Glas abkühlte. So schimmerte es am Ende wie sonnenbeschienenes Wasser. Es stimmte ihn zuversichtlich, dass der Kanal in diesem Moment genauso aussah.
Ich bin ein Meister. Keiner bringt das Glas so zum Singen wie ich. Ich bin der beste vetraio der Welt. Ich höre förmlich, wie das Wasser mir antwortet: Ja, und genau deshalb wollen die Franzosen auch dich und keinen anderen.
Er schaute über die Lagune in Richtung San Giorgio Maggiore und sah den Gewürzbooten nach, die an der noch unvollendeten Kirche Santa Maria della Salute vorüberfuhren. Das leuchtende Rot und Gelb ihrer Ware und die dunkle Haut der Händler hoben sich deutlich von den sauberen weißen Steinen des gewaltigen Gebäudes ab. Das war ein Anblick ganz nach seinem Geschmack. Gondeln durchschnitten das Wasser, darin Kurtisanen, barbrüstig und lasziv, in ihrem carnevale-Aufpwtz. Corradino bewunderte weniger ihre nackte Haut als vielmehr die Seide ihrer Gewänder, die Farbe und den Fall des Stoffes, der im Sonnenlicht glänzte. Ein Regenbogen von Farben wie das Innere einer Auster. So schaute er eine ganze Weile und genoss es, dass er endlich fort war von der Glashütte, der fondaria, und von Murano. Er betrachtete anerkennend den axtförmigen Bug einer Gondel mit den sechs Zacken, die für die sechs sestieri, die Stadtteile von Venedig, standen. Seine geliebte Stadt. Die Stadt, die er bald verlassen würde. Er sagte die sechs Namen leise vor sich hin und ließ dabei die Worte einem Gedicht oder einem Gebet gleich über die Zunge rollen: Cannaregio, Dorsoduro, Castello, Santa Croce, San Polo und San Marco.
Die Bugwelle der sich nähernden Gondel, die sacht auf den bemoosten Marmor der Kanalbefestigung zurollte, brachte ihn wieder zu sich. Er durfte sich nicht zu lange aufhalten.
Ich habe doch ein Geschenk für sie.
Sogleich eilte Corradino die Calle hinunter, vorüber an der Kirche Santa Maria della Pietä, an die das Waisenhaus grenzte. Er trat an das verzierte Gitter, das ihm einen Blick in die kühle Dunkelheit im Inneren des Hauses erlaubte. Dort konnte er eine Gruppe Waisenmädchen mit ihren Violen und Violoncelli und den Notenblättern erkennen. Ganz am Ende der Reihe entdeckte er ihren blonden Kopf. Sie bewegte ihn lebhaft hin und her, während sie sich mit einer Freundin unterhielt. Ein Stück davon entfernt erblickte Corradino Padre Tommaso. Er setzte gerade dazu an, einer Singgruppe den Einsatz zu geben. Das war der richtige Augenblick.
Mit einer Stimme, die in der Calle widerhallte, begann Corradino jene wohlbekannte Weise zu singen, mit der die Fleischhändler und Kuchenverkäufer Kunden anzulocken versuchten. Allerdings wandelte er die Worte so ab, dass nur eine bestimmte Person ihn erkennen und zu ihm kommen würde.
«Leonora mia, bo bo bo, Leonora mia, bo bo bo.»
Schon war sie da, hinter dem Gitter, und ihre kleinen Finger reckten sich durch die eisernen Verzierungen, um die seinen zu berühren. «Buon giorno, Leonora.»
«Buon giorno, Signore.»
«Ich habe dir doch erklärt, dass du Papa zu mir sagen kannst.»
«Si, Signore.»
Doch sie lächelte bei ihren Worten. Er mochte ihren Sinn für Humor und freute sich darüber, dass sie vertraut genug mit ihm war, um sich diese kleinen Scherze zu erlauben. Sie wuchs heran und würde bald eine gewandte coquette im heiratsfähigen Alter sein.
«Hast du mir etwas mitgebracht?»
«Wir wollen mal sehen. Kannst du mir vielleicht sagen, wie alt du bist?»
Noch mehr kleine Finger schoben sich durch das Gitter. Fünf, sechs, sieben.
«Sieben.»
«Das stimmt. Und habe ich dir nicht immer zu deinem Geburtstag etwas mitgebracht?»
«Ja, immer.»
«Dann wollen wir hoffen, dass ich es diesmal nicht vergessen habe.» Mit übertriebenen Gesten durchsuchte er alle Taschen seines Rocks. Erst ganz zum Schluss fasste er sich hinters Ohr und brachte ein rotes Glasherz zum Vorschein. Er schob das kostbar gefasste Schmuckstück durch das Gitter und hörte, wie Leonora nach Luft schnappte, als es in ihre Hand fiel. Erleichtert stellte er fest, dass die Größe richtig war. Sie drehte es auf ihrer kleinen Handfläche um und staunte über das eingefangene
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