Die Glasblaeserin von Murano
abfälligen Blick zu. Dann umkreiste er ihn auf seinen venezianischen Schuhen und musterte ihn von oben bis unten. Schließlich ging er zu dem Spiegel hinüber, zog sich Finger für Finger seinen Handschuh aus Chamoisleder aus und tippte mit dem Zeigefinger gegen das kühle, glatte Glas. Dabei hinterließ er einen kleinen fettigen Abdruck. Unwillkürlich zuckte Corradino zusammen, als hätte ein Schurke sich seiner Tochter genähert.
Baldasar drehte sich wieder zu Jacques um. «Stimmt irgendetwas nicht, Herr Gesandter?», wollte Ludwig amüsiert wissen. Mit sichtlicher Anstrengung fasste sich der Gesandte. «Bitte um Vergebung, Majestät. Ich dachte bloß, dass dieser Mann - Chauvire, nicht wahr? - noch sehr jung für ein solches Meisterwerk ist.»
Jacques trat unbehaglich von einem Bein aufs andere, während der König antwortete: «Vielleicht fällt es Euch einfach schwer, einzugestehen, dass wir mittlerweile ebenso gutes Glas machen können wie ihr Venezianer.»
Baldasar blickte noch einmal zwischen Jacques und dem Spiegel hin und her. «Aus wie vielen Scheiben besteht dieser Spiegel, Maitre?» Er verlieh der Anrede einen kleinen ironischen Unterton.
Jacques schaute den König an, der ihm mit einem kurzen Nicken die Erlaubnis gab zu antworten. «Aus einundzwanzig, gnädiger Herr.»
«Und wie viele Jahre seid Ihr schon auf der Welt?»
«Einundzwanzig, gnädiger Herr.»
«Das passt ja wirklich ausgezeichnet, findet Ihr nicht auch? Trotz Eures zarten Alters habt Ihr ein Werk von unvergänglicher Schönheit geschaffen. In seiner Klarheit und Reinheit ist es von einer, ich möchte fast sagen, venezianischen Qualität.» Er musterte die Umstehenden, woraufhin Corradino die Augen senkte und sich rasch hinter einem stämmigen Maurer versteckte.
«Ich möchte Euch gratulieren, Majestät.» Mit ausdrucksloser Miene verbeugte sich der Gesandte, doch sein Blick war nachdenklich.
«Schon gut.» Der König winkte mit einer Geste ab, als hätte er den Spiegel selbst geschaffen. Kurz darauf schritt er mit dem Gesandten und den versammelten Höflingen im Schlepptau durch den Saal davon. Nach einigen Metern wandte er sich noch einmal um, erspähte Corradino und blinzelte mit einem Auge. Dann setzte der König seinen Weg fort. Dieser Vorfall, der nicht länger als zwei Sekunden gedauert hatte, war vom Hofstaat unbemerkt geblieben. Corradino holte tief Luft und versuchte zu verstehen, was ihm soeben geschehen war.
Der König hatte ihm zugezwinkert.
Für ihn ist es ein Spiel. Ein amüsanter Spaß. Die Tatsache, dass mein Leben verwirkt ist, falls man mich entdeckt, dieses ganze Theater mit Jacques - es ist alles nur ein Spiel. Ein königlicher Zeitvertreib.
Schweißgebadet und mit zitternden Gliedern presste Corradino eine Hand auf sein wild pochendes Herz. Guilini hatte ihn nicht bemerkt. Und wenn, hätte er ihn vermutlich nicht erkannt. Schließlich war Corradino erst acht Jahre alt gewesen, als er in Begleitung seines Vaters den jungen Baldasar im Arsenale traf. Aber war es Ludwig nicht zuzutrauen, dass er das Geheimnis seines Maitre des Glaces aus einer Laune heraus ausplauderte, wenn er nach dem Essen mit dem Gesandten ein Glas Cognac trank? Nein, dachte Corradino. In seinem übermäßigen Stolz würde der König dafür sorgen, dass der Ruhm für die Erschaffung des Spiegelsaals französischen Handwerkern zufiel, jetzt und für alle Zeit.
Wie lange würde der Gesandte wohl hier bleiben? Eine, höchstens zwei Wochen vielleicht. Am besten hielt er, Corradino, sich also im Hintergrund, bis Guilini abgereist war.
Noch immer zitternd begab er sich zur Fondaria. Als Jacques eine Entschuldigung stammelte, weil er das Lob für Corradinos Arbeit eingeheimst hatte, winkte der nur müde ab. Ich muss mit Duparcmieur reden, dachte Corradino. Ich will, dass Leonora so bald wie möglich hierher kommt.
Doch eines hatte Corradino bei seinen Erwägungen außer Acht gelassen: Sein eigener Spiegel hatte ihn verraten. Im selben Augenblick, als sich Ludwig umdrehte, hatte Baldasar Guilini blitzschnell einen Blick in den Spiegel geworfen und das Zwinkern beobachtet. Der Gesandte stutzte und musterte den fremden Handwerker genauer. Er gewann den Eindruck, dass es sich um einen Italiener handeln musste, und von dort war es nur ein kleiner Schritt zu dem Verdacht, dass der Glasbläser aus Venedig stammte.
Nach dem Galadiner, das zu seinen Ehren stattfand, begab sich Baldasar Guilini spätabends in seine Unterkunft im Palais Royal. Er
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