Die Glasblaeserin von Murano
hatte Stephen damals mit ihrem Wissen konfrontiert, mit dem Ergebnis, dass er gegangen war. Diesmal würde sie sich klüger verhalten. Sie musste fest an Alessandros Unschuld glauben - die andere Möglichkeit war ohnehin so fürchterlich, dass sie gar nicht darüber nachdenken mochte. Dann wäre sie allein in einer fremden Stadt, mit einem Kind und ohne Arbeit.
Nein. Ich werde abwarten und an ihn glauben, außer wenn ich feststelle, dass er mein Vertrauen nicht verdient.
Ihr war klar, dass diese Haltung nicht nur großzügig, sondern auch feige war. Doch als er aus der Winternacht ins Zimmer trat, umarmte sie ihn liebevoll. Sie aßen zu Abend und unterhielten sich angeregt über das Kind und den bevorstehenden Karneval. Er schien aufgeregt zu sein, irgendwie überdreht, und ihr wurde ganz kalt, als sie daran dachte, dass Vittoria vielleicht der Grund dafür war.
Kein Wunder, dass er ihr gefällt.
Ihre Kehle wurde eng. Wie sehr sie ihn liebte! Zärtlich schaute sie ihn an, dann zog sie ihn zum Bett hinüber. Doch als sie anschließend erschöpft nebeneinanderlagen, konnte sie sich eine Frage nicht verkneifen. Sie fuhr sanft mit dem Zeigefinger über seine Brust und sagte: «Marta war heute Abend hier. Du hast sie knapp verpasst. Ich dachte, du wolltest um sieben kommen. Was war denn los?»
Seine Stimme klang ganz schläfrig. «Ich musste länger arbeiten. Dieser Kunstraub in der Ca' d'Oro ... Das zieht sich alles endlos hin.»
Jetzt habe ich dich bei einer Lüge ertappt. Das ist der Beweis.
Ihr wurde ganz kalt. Schwerfällig drehte sich Leonora mit ihrem dicken Bauch auf die Seite und knüllte das Kopfkissen vor ihrem Gesicht zusammen. Er sollte die Tränen nicht sehen. Wie als Antwort auf ihre Verzweiflung trat das Kind in ihr, und nun weinte sie um sie beide. Da spürte sie eine Berührung am Rücken.
«Ich liebe dich», murmelte Alessandro.
Das hat er noch nie gesagt. Aber jetzt ist es zu spät.
Kapitel 30
Carnevale
Carnevale. Auch am Dogenpalast wird gefeiert. Tief in seinem Inneren, hinter der verspielten weißen Fassade, liegen die dunklen Räume verborgen. Das Gebäude wirkt, als trage es eine Maske. Wie ein farbenfrohes Band windet sich die Reihe der grellbunt Kostümierten um die Säulen der weißen Loggia. Über ihren Köpfen ragen, wie graue Zahnstummel in einem grinsenden Mund, die beiden bleichen Säulen auf. Es heißt, an ihnen klebe für immer und ewig das Blut der Verurteilten, die dort gehängt und gevierteilt wurden. Doch die ausgelassene Festgesellschaft schert sich nicht darum. Sie lacht und kreischt wie ein Schwärm Papageien. In Venedig, der Serenissima, geht es heute alles andere als friedlich zu. Hier hüpft ein Mond mit einer Prinzessin durch die Gegend, dort unterhält sich ein Pierrot mit einem Elefanten. Heute ist alles möglich.
An der Brücke der Riva degli Schiavoni halten ein Mann und eine Frau eine Gondel an. Der Mann ist als Sandro Botticelli verkleidet - mit einer eng anliegenden Kappe auf dem lockigen Haar und Gewändern im Stil der Renaissance. Die Frau sieht aus wie der leibhaftige Frühling aus Botticellis Primavera. Ihr goldenes Haar ringelt sich um ihr Engelsgesicht, die Goldfäden in ihren Locken glitzern in der Sonne. Ihre Augen sind leuchtend grün, die Pupillen vor freudiger Erwartung geweitet. Ihr weißes Kleid mit seinem Muster aus Pflanzen und Blüten bauscht sich im Wind, als ihr Begleiter ihr vorsichtig in das schwankende Boot hilft. Sie ist hochschwanger.
Leonora lehnte sich in die Kissen zurück. Nur La Primavera - der Frühling, der mit dem Sommer schwanger geht -war für sie als Karnevalskostüm in Frage gekommen. Außerdem waren die weiten, fließenden Gewänder sehr bequem in ihrem Zustand. Sie spürte die weichen Kissen im Rücken und das gläserne Herz, das kühl und glatt und beruhigend an ihrer Kehle lag. Das Kind bewegte sich in ihrem Leib, während sein Vater ihre Hand hielt. Leonora bot einen bezaubernden Anblick.
Nach außen hin gab sie sich ruhig und gelassen wie die Lagune, deren spiegelglatte Oberfläche in der Wintersonne schimmerte. Doch in Leonora brodelte es. Sie zweifelte an der Treue des Mannes, dessen Hand sie hielt. Und im Ausschnitt ihres Kleides lag, verborgen zwischen ihren vollen Brüsten, der Brief des Gesandten. Sie dachte daran, wie sie zu dritt in ihrem Traum mit der Gondel gefahren waren. Jetzt war der Traum Wirklichkeit geworden, auch wenn das Kind noch nicht geboren war. Um des Babys willen musste sie
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