Die Glasblaeserin von Murano
Weile. Schließlich, als habe sie sich endlich ein Herz gefasst, ergriff Marta das Wort. «Kommt Alessandro heute Abend her?»
Leonora blickte erstaunt auf. Während der letzten Monate hatte sie ihn nicht so oft gesehen, wie sie es sich gewünscht hätte, doch immerhin hatten sie so viel Zeit miteinander verbracht, dass sie sich in Leonoras Augen als Paar bezeichnen konnten. Wenn er bei ihr war, benahm er sich wie ein mustergültiger Partner und werdender Vater - er sprach mit dem Kind in ihrem Bauch, stellte Vermutungen über das Aussehen seines Sohnes an und war Leonora behilflich, die Wohnung für das Baby umzugestalten. Doch die Frage des Zusammenlebens blieb ein wunder Punkt. Leonora hatte das Thema einmal angeschnitten, und seitdem mieden es beide.
Allerdings hatten sie bisher die meisten Sonntage und Feiertage, beispielsweise Weihnachten, gemeinsam verbracht, und so hatte Alessandro vorgeschlagen, am Abend vorbeizukommen und mit Leonora am nächsten Tag zum Karneval zu gehen. «Er kommt nach der Arbeit vorbei», antwortete sie seiner Cousine.
Marta nickte. Nach kurzem Zögern holte sie tief Luft und sagte betont gleichgültig: «Ich wusste gar nicht, dass er sich noch immer mit Vittoria trifft. Auf dem Weg hierher habe ich die beiden im gesehen.»
Noch bevor Leonora den Sinn der Worte erfasste, machte Martas Ton sie stutzig. Diesen bemüht unbekümmerten Tonfall hatte sie schon einmal gehört. Als ihr wieder einfiel, wann, wurde ihr plötzlich eiskalt.
Jane. In Hampstead. Die Freundin, die mir von Stephen und Carol erzählt hat.
Entsetzt wiederholte sie den Namen, den Marta genannt hatte. «Vittoria?»
Marta seufzte. «Vittoria Minotto. Sie und Sandro haben hier in Venedig zusammengelebt, bis sie in eine andere Stadt versetzt wurde. Und jetzt ist sie wieder da. Aber das weißt du ja. Du hast sie schließlich ... kennengelernt.»
O ja, ich kenne sie. Sie hat mir meinen Lebensunterhalt genommen. Und jetzt auch noch Alessandro?
Als Leonora nicht reagierte, sondern nur stumm vor sich hin starrte, fragte Marta bestürzt: «Willst du damit sagen, dass er dir nichts erzählt hat?»
«Nein. Doch. Ich meine, er hat mir von einer Journalistin erzählt, mit der er zusammen war. Aber ich wäre nie auf die Idee gekommen ... Ich hätte sie doch nie mit ihm in Verbindung gebracht.»
Ich bin zu blöd. Einfach zu blöd.
Marta runzelte die Stirn. «Auch nicht damals, nach diesem schrecklichen Artikel?»
Leonora schüttelte den Kopf. «Als das alles passierte, war er nicht in Venedig. Er war damals gerade auf dem Lehrgang in Vicenza, und ich wollte ihn damit nicht behelligen. Ich glaube, er hat davon überhaupt nichts mitbekommen.»
Ihr drehte sich der Kopf. Diese Frau, die so boshaft und leider auch so sexy war, war seine frühere Freundin? Und mit ihr hatte er zusammengelebt, wohingegen er sich das mit ihr, Leonora, der Mutter seines Kindes, offensichtlich nicht vorstellen konnte? Unbewusst legte sie sich, wie so oft, die Hand auf den Bauch.
Marta fragte besorgt: «Geht es dir gut?»
Leonora zwang sich zu einem Lächeln. Ihr war durchaus klar, welche Überwindung es Marta gekostet haben musste, sie zu warnen - wie alle Italiener waren auch die Venezianer ihrer Familie gegenüber außerordentlich loyal. Doch plötzlich wollte sie, dass Marta ging. Sie musste nachdenken.
Noch eine Ewigkeit, wie es Leonora schien, plauderten sie mit gezwungener Munterkeit über dies und das. In Wirklichkeit dauerte es nur wenige Minuten, bis Marta aufstand, um ihren Mantel zu holen. An der Tür drehte sie sich noch einmal um.
«Es hat sicher nichts zu bedeuten», sagte sie langsam. «Es ist einfach ein Zeichen von guten Manieren, wenn man sich mit seiner Ex verträgt. Sandro wollte nie, dass böses Blut zwischen ihnen entsteht. Er mag es, wenn alles glatt läuft.»
Glatt.
Jetzt kannte sie wenigstens den Grund für seine Zurückhaltung. Er hatte mit Vittoria zusammengelebt und war von ihr verletzt worden. Sie hatte ihn verlassen. So etwas wollte er sicher nicht noch einmal erleben und vermied es deshalb, sich allzu eng an Leonora zu binden.
Und nun war Vittoria also wieder in Venedig.
Wo ist da noch Platz für mich?
Mit ihrem Glas Wasser in der Hand stand Leonora noch lange am Tisch und schaute auf die Tür, die Marta gerade hinter sich zugezogen hatte und durch die Alessandro bald kommen würde. Mit wachsendem Zorn überlegte sie, wie sie ihn empfangen sollte.
Nein. So geht das nicht. Nicht schon wieder.
Sie
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