Die Glasblaeserin von Murano
schonen, und Sie dürfen sie nur mit dem Blattwender umblättern. Fassen Sie bitte das Papier nicht an.»
Die Signorina nahm seine Belehrungen mit ernsthaftem Nicken zur Kenntnis. Ihre Augen waren grün mit silbernen Sprenkeln - genau wie die Blätter der Olivenbäume auf dem Bauernhof, wo Aldo Savini aufgewachsen war. Unvermittelt schlug sein Herz schneller, und er rückte leicht verwirrt seine Brille zurecht. Als er der Signorina half, die alten Folianten herunterzuheben, streifte ihn ihr goldblondes Haar, und er bekam den Duft ihres Kokosnussshampoos in die Nase, der sich mit dem Geruch nach altem Leder und Pergament mischte. Der Bibliothekar war hingerissen.
Im Laufe der folgenden Monate bekam Aldo Savini «La Principessa», wie er sie im Stillen nannte, häufig zu Gesicht. Immer trat sie mit einer besonderen Bitte an ihn heran. Zunftbücher, Inventarlisten, Testamente, Geburts¬und Sterbeurkunden, Briefe, Arbeitsbescheinigungen - alles suchte er für sie heraus. Auch ihre Fragen, die sie in perfektem Venezianisch vorbrachte, waren äußerst interessant. Stets ging es dabei um denselben Mann: Corrado Manin, von dem natürlich auch Aldo Savini schon gehört hatte. Nachdem die Principessa herausgefunden hatte, dass Aldo an der Universität von Bologna alte Schriftarten studiert hatte, bestürmte sie ihn geradezu mit Fragen: Steht in diesen Dokumenten etwas über Corrado Manin? Dieser Spiegel, den die Contessa Dandolo der Frari-Kirche überließ, ist das ein echter Manin? Diese Handwerkerrechnung für den Palazzo Bruni, wird darin ein Manin-Kronleuchter erwähnt? In welchem Jahr wurde der Palazzo erbaut? Heißt dieser Eintrag im Schiffsregister Manin oder Marin? Bedeutet dieses Symbol in den Listen mit Todesfällen Vergiftung durch Quecksilber oder irgendeine andere Substanz?
Immer mehr begeisterte sich Aldo Savini für die Nachforschungen und ebenso für die Frau, die sie anstellte. Offensichtlich erhielt sie Unterstützung von der Ca' Foscari, denn jedes Mal, wenn sie in die Bibliothek kam, brachte sie eine Menge neuer Hinweise mit. Aldo fand schnell heraus, dass ihr Helfer Ermanno Padovani war, ein angesehener Gelehrter, dessen Werke natürlich auch in der Bibliothek vorhanden waren. An manchen Tagen erschien die Principessa allerdings nicht. Aldo wusste, dass sie dann ihre Nachforschungen in einem der gut gehüteten Archive der Stadt betrieb, zu denen ihr anscheinend der Professore Zugang verschafft hatte.
In seiner Phantasie sah sich Aldo Savini als Ritter, der im edlen Wettstreit der Quellenkunde gegen den schwarzen Ritter Ermanno Padovani antrat. Um die Gunst der schönen Principessa zu erringen und den Rivalen auszustechen, war er entschlossen, ihr als Erster den entscheidenden Hinweis zu liefern.
Die Wochen vergingen. Bevor der Winter seinen Höhepunkt erreichte, wurde Aldo Savini klar, dass die Principessa schwanger war. Er sah, wie ihr Bauch anschwoll und ihr Engelsgesicht immer sanfter und voller wurde. Einmal beobachtete er, wie sie in die Lektüre eines Schiffsregisters versunken dasaß und etwas in ein Notizbuch eintrug, das sie auf ihrem dicken Bauch abgelegt hatte. Sein Herz machte vor Rührung einen Hüpfer. Er, Aldo Savini, würde ihrer Suche mit allen Kräften zum Erfolg verhelfen. Und dann, eines Tages, hatten sie wirklich Erfolg.
Bereits seit einigen Wochen war Aldo aufgefallen, dass immer mehr Spuren nach Frankreich wiesen. Dabei ging es um Schiffsladungen, um das Schloss von Versailles, den Glashandel mit Paris und den Hof von Ludwig XIV., dem Sonnenkönig. Und dann kam dem Bibliothekar die Erleuchtung - über welchen europäischen Hof des siebzehnten Jahrhunderts er auch im Auftrag der Principessa recherchierte, fast immer stieß er zwangsläufig auf ein und dieselbe Person.
Den venezianischen Gesandten.
Die Principessa geriet in helle Aufregung, als er ihr eine Auswahl von Dokumenten zeigte. Sie las alles dreimal durch und schleppte dann eine Sammlung gebundener Briefe mit einer Geschwindigkeit zu seinem Schreibtisch, die er angesichts ihrer fortgeschrittenen Schwangerschaft nur als waghalsig bezeichnen konnte. Anschließend setzte sie Aldo so lange wegen einer Kopie zu, bis er schließlich nachgab und den betreffenden Brief in einen abgelegenen Raum der Bibliothek mitnahm, wo sich besondere Scanner und Drucker befanden. Mit diesen großen, teuren Apparaten war es möglich, mittels Infrarot-Lasertechnik selbst von den empfindlichsten Pergamenten Kopien anzufertigen, die unter keinen
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