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Die Glasblaeserin von Murano

Die Glasblaeserin von Murano

Titel: Die Glasblaeserin von Murano Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Fiorato
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Alessandro um und drängte sich durch die Menge in Richtung Zattere.
    Leonora wollte hinter ihm herrufen, wollte ihm sagen, dass er recht hatte. Dass sie in Zukunft auf ihn statt auf Corradino setzen und nicht nach Frankreich reisen würde. Doch sie brachte keinen Ton heraus. Sie wollte hinter ihm herlaufen, doch ihre Füße waren schwer wie Blei. Erst als seine dunklen Locken in der Menge verschwunden waren, merkte sie, was mit ihr geschah. Es war, als ob sich ein Reif um ihren Leib presste. So stark waren die Schmerzen, dass sie nach Luft schnappen und sich an der Balustrade festhalten musste. Stützende Hände kamen ihr zu Hilfe. Passanten blieben stehen und erkundigten sich besorgt, ob sie sich wohl fühlte. Aber sie fühlte sich ganz und gar nicht wohl.
    Ich habe Wehen.
     

Kapitel 33
    Das Phantom
    Giacomo wusste nicht, wie lange er schon in dieser Zelle war. Nur die Länge seines Bartes verriet ihm, dass es schon viele Tage, vielleicht sogar Wochen sein mussten. Wochen der Stille, in denen er nichts als seinen eigenen keuchenden Atem vernommen hatte und den bellenden Husten, der ihn seit neuestem plagte. Er konnte die Wände, die ihn umschlossen, nicht erkennen, doch ihrem kalten, schleimigen Belag nach zu urteilen, befand er sich in einer der Zellen, die unter dem Wasserspiegel des Kanals lagen. Die Furcht, die in ergriffen hatte, war so kalt wie die Mauern um ihn herum.
    Es war totenstill, kein Laut war zu hören. Ihm war jedoch klar, dass er nicht allein dort unten im Kerker war. Dass die Schreie der anderen Gefangenen nur nicht durch die dicken Mauern zu ihm dringen konnten. Er wünschte fast, er hätte sie hören können. Alles wäre besser gewesen als diese finstere Einsamkeit.
    Der Raum stank nach seinen eigenen Exkrementen. In den ersten Tagen hatte er sich in eine Ecke vorgetastet, um dort seine Notdurft zu verrichten, doch diese Mühe hatte er sich bald erspart, und nun quälte ihn der Gestank derart, dass er kaum noch atmen konnte.
    Die ersten Stunden seiner Gefangenschaft hatte Giacomo in der Angst verbracht, dass die Tür aufgehen und das furchtbare schwarze Phantom eintreten könnte, um ihn erneut zu verhören. Er war sich sicher, dies nicht noch einmal durchstehen zu können.
    Nach seiner Festnahme hatten sie ihm den Brief des    Gesandten gezeigt. Sie glaubten, dass jemand von Murano dem französischen König beim Bau seines Schlosses half. Seinen Beteuerungen, dass keiner seiner Männer eines solchen Verrats fähig wäre, hatten sie keinen Glauben geschenkt. Erbarmungslos waren die Fragen auf ihn heruntergeprasselt. Fehlte jemand aus der Fondaria? War einer der Glasbläser krank oder kürzlich verstorben? Weinend hatte er ihnen von Corradinos Tod berichtet, denn er vermisste den Jungen noch immer schrecklich. Mochte er nun tot sein oder nicht -jedenfalls war er nicht mehr bei Giacomo, und die Trennung war für den Alten genauso schlimm wie der Tod.
    Sie scherten sich nicht um seinen Kummer, sondern bestürmten ihn mit weiteren Fragen. Woran war Corradino gestorben? Und wann war das gewesen? Dann wieder die endlosen Stunden des Wartens in einem Vorzimmer, während sie jemand anders verhörten. Aus den Wortfetzen, die Giacomo aufschnappte, schloss er, dass es sich um den Arzt handelte. Was sie sprachen, war durch die dicken Eichentüren kaum zu verstehen, doch die Schreie drangen nur allzu deutlich nach außen. Schließlich war der medico weggebracht worden, ein um Gnade flehender, gebrochener Mann.
    An jenem Tag - als sie ihn danach zurück in den großen Raum führten, wo das Gespenst in der schwarzen Maske auf ihn wartete - hatte Giacomo zum ersten Mal um sein Leben gefürchtet. Sein verwirrter Geist gaukelte ihm vor, es sei derselbe Mann, der viele Jahre zuvor in der Fondaria nach Corradino gesucht hatte. Damals hatte er, Giacomo, dem Jungen das Leben gerettet. Doch diesmal konnte er nicht einmal sein eigenes Leben retten. Allmächtig wie der Tod selbst suchte die schwarze Gestalt ihn in seinen verworrenen Träumen heim.
    Als die Zeit verging und man ihn vergessen zu haben schien, wurde Giacomo langsam klar, worauf sie aus waren. Ihre schärfste Waffe war die Furcht. Sie wollten ihn in den Wahnsinn treiben.
    Mit aller Kraft kämpfte der Alte dagegen an, doch je mehr seine Kräfte schwanden, desto mehr narrte ihn auch sein Geist. Seine krankhafte Phantasie ließ Gestalten aus seiner Vergangenheit auferstehen, wie beispielsweise die Hure, mit der er sich als junger Mann in Cannaregio

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