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Die Glasfresser

Titel: Die Glasfresser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giorgio Vasta
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Flitter: Überall sieht sie Kampf und lebt schmucklos.
    Ich werde müde, lege eine andere Platte auf, höre sie aber nicht an, sondern beobachte die Wellenbewegungen auf dem Plattenteller und wie das Licht in die Rillen fällt. Ich kauere mich auf dem kühlen Fußboden zusammen. Ich kauere mich gern zusammen,
ich mag die sanfte Kontraktion von Muskeln und Sehnen. Das ist die Stellung ›Sterben‹, Moros in den Kofferraum gepresster Körper. Es ist auch die Position von Körpern, wenn sie geboren werden. Von Welpen, die man im Nacken hält. Vom Körper der Kinder. Derer, die geboren werden, und derer, die nicht geboren werden.
    Vor ein paar Jahren sind wir ins Freilichtkino gegangen. Der Stein, die Schnur und ich. Der Film war nichts Besonderes, sogar langweilig. Ich schaute gar nicht richtig hin, ließ mich von einem reglosen weißen Gecko an der Wand ablenken. Dann änderte sich die Geschichte, eine Ambulanz kam ins Bild, da war eine schwangere Frau, die sich auszog und weinte. Die Schnur war überrumpelt und versuchte mich daran zu hindern, etwas zu sehen, doch ich schlüpfte ihr aus den Fingern und erblickte ein Instrument, das die Vagina weitete, während ein anderes Instrument, eine Art Stricknadel mit gebogener Spitze, von innen dunkle Stücke herausholte und sie in eine Nierenschale aus Metall fallen ließ. Dann sah man, dass das Instrument etwas erfasst hatte, etwas winzig kleines Schwarzes. Trocken und verkrustet. Zusammengekauert. Auch das endete in der Nierenschale. Die Instrumente wurden weggelegt, der Arzt zog sich die Handschuhe aus, und man sah seine Hände, wie er sie unter dem Wasserhahn rieb. Auf dem Nachhauseweg suchte die Schnur nervös meine Nähe, fing zwei Sätze an, die sie aber mittendrin abbrach, wollte mich dann am Kopf und an den Schultern berühren, doch ich entzog mich ihr, sie fing einen dritten Satz an, war schließlich still, und wir setzten den Weg schweigend fort.
    Am Tag danach nahm ich die Enzyklopädie und las die Definitionen, die Verfahren, die Namen der Instrumente, die Gesetzeslage nach. Ich machte mir eine Vorstellung von der Situation - ich verstand, dass der Körper einer Frau eine Höhle ist -, doch es war eine schwache Vorstellung, in der die Wörter abstrakt und unbestimmt blieben, eingehüllt in die schamvolle Fachsprache von Enzyklopädien.
    Als die Schnur den spontanen Abgang hatte, bedeutete spontan für mich »authentisch«. Ein authentischer Abgang.

    Es war sehr früh am Morgen, es war noch dunkel. Der Stein ging das Auto holen. Die Schnur saß auf einem Stuhl im Flur, sagte zu mir: Nein. Aber ich wollte dabei sein. Bevor wir gefahren sind, haben wir gewartet, bis die Nachbarin hochkam, um beim Lappen zu bleiben und ihn dann zur Schule zu bringen, wo an diesem Tag sowieso ein Ausflug ins Naturkundemuseum anstand. Aus dem Auto habe ich auf die Straße gesehen; die Geschäfte machten gerade auf, in den Häusern brannte Licht. Als wir im Krankenhaus ankamen, konnte die Schnur nicht aussteigen. Zwei Pfleger haben ihr geholfen, sie in einen Rollstuhl gesetzt und in eine andere Abteilung gebracht, weil wir in der falschen waren. In der richtigen Abteilung bin ich draußen vor der Tür geblieben. Ein paar Pfleger haben mir gesagt, dass ich da nicht bleiben könnte, doch sie wussten nicht, wen sie benachrichtigen sollten, weil der Stein mit der Schnur drinnen war. Ich tat so, als würde ich nichts hören, und setzte mich hin; auf der einen Seite war die Tür zur Station, auf der anderen ein kaputter Aufzug, das Lämpchen des Stockwerks auf Rot blockiert. Man roch den Duft von Kaffee. Zur Mittagessenszeit wurde die Tür geöffnet, die Verwandten der Mütter kamen. Ich stand auf und ging ebenfalls rein. Die Mütter waren in den Zimmern, lagen zusammengekauert in den Betten; Taschentücher in den Ärmeln der Nachthemden. Manche blickten zur Decke, horchten auf das Wimmern in den Gängen; dann drehten sie sich auf eine Seite, auf die andere, pressten die Brust auf die Matratze, starrten ins Halbdunkel und hielten den Atem an. Eine gab es, die ihren Bauch betastete, die Finger um den Nabel herumpresste. Ich traf Frauen, die in Pantoffeln herumschlurften; sie trugen himmelblaue oder hellrote Nachthemden, die Haare nach hinten gekämmt, matt, gehalten von einem Haarreif aus Horn. Sie wirkten wie schlafwandelnde Elefanten. Zwei schoben ihre Neugeborenen in einer primitiven Wiege, einer Schale aus transparentem Hartplastik, oben offen, der untere Teil in ein Metallskelett mit

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