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Die Glasfresser

Titel: Die Glasfresser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giorgio Vasta
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die Bougainvilleen in üppiger Pracht. Ich beginne zu suchen, finde den Schwarm, verfolge ihn mit den Augen, finde auch das Nest. Ich schlüpfe in den Pullover, ziehe mir die Plastiktüte über den Kopf; sie ist nicht vollkommen durchsichtig, aber ich kann doch etwas sehen. Ich gehe auf das Nest zu und höre, wie das Summen nach und nach stärker wird. Ich würde es gern erklären, den Bienen sagen, dass sie keine Angst zu haben brauchen. Als ich vor dem Nest bin, das sich in einem Spalt der Gartenmauer einer Villa befindet, bücke ich mich, nehme den Stacheldraht und schiebe ihn hinein. Die Wolke aus Bienen wird dichter, ich spüre, wie sie gegen die Plastiktüte und den Pullover prallen; die Hände habe ich in die Ärmel gezogen. Ich halte durch und stochere weiter in dem Spalt hin und her, merke, wie sinnlich es ist, schäme mich, höre aber nicht auf. Ich bewege den Stacheldraht von oben nach unten und von unten nach oben, und immer mehr Bienen schwärmen aus. Ich fahre fort, bis es heftig gegen die Plastiktüte und meinen Oberkörper prasselt; es hagelt Angriffe, während der Sauerstoff in meiner schützenden Hülle knapp wird; die Luft ist feucht, die Plastiktüte zieht sich zusammen und entspannt sich wieder, und ich atme röchelnd wie Darth Vader und muss lachen, bis ich schließlich wahrnehme, wie die Wolke sich lichtet, das Getöse nachlässt. Ich entferne mich, ziehe die Plastiktüte vom Kopf und erreiche das Ende der Straße, von wo aus ich einen besseren Überblick habe. Die Bienen fliegen in kugeligen Formationen, die sich von Zeit zu Zeit zu Ellipsen strecken und dann wieder verdichten: Sie suchen die Königin. Sie bilden die Form eines umgekehrten Kegels, der sich in etwas Eiförmiges verwandelt und sich dann aufbäumt und zu einem enormen gebogenen Flaschenkürbis wird, der fast eine Minute lang am Himmel steht, ein göttlicher Zierkürbis; dann schließt er sich, verengt sich sprunghaft, um erneut zu dem umgekehrten Kegel zu werden. Es ist der Schwarm, der sich über sich selbst verständigt - ein Monolog im Fliegen, eine
Introversion, die im Laufe weniger Sekunden ihre eigene Extraversion erzeugt, das Lösen des Knotens; die Bienen folgen ihrer Königin und konzentrieren sich auf ein Fahrrad, das mit einer Kette an einem Pfahl festgemacht ist, indem sie es sich zunächst in Form einer Kugel von mindestens zwei Metern Durchmesser einverleiben, in deren Inneren es noch sichtbar ist, um sich dann immer enger um den Rahmen zu schließen, bis sie ihn ganz umgeben und nur die Enden der Griffe und die metallische Halterung der Klingel auslassen. Ich bleibe eine Weile, um das wimmelnde Fahrrad, die Betriebsamkeit der Insekten, das Summen, das in Wirklichkeit ein Knurren ist, in mich aufzunehmen.
    Tags drauf gehe ich wieder nach Addaura. Ich komme an der Mauer vorbei, alles ist ruhig. Der Pfahl ist leer, das Fahrrad nicht mehr da, doch auf dem Boden liegt die Kette mit dem Schloss; während der Nacht haben die Bienen das Fahrrad vertilgt, das Gestell samt Pedalen und Sattel, oder sie haben es von der Kette losgerissen, die Form eines Körpers angenommen und sind auf der Strandpromenade langgeradelt.
    Ich gehe den Hang einen Kilometer weiter hoch und fühle mich beobachtet, bei jedem Rascheln drehe ich mich ruckartig um. Ich fange trotzdem an, zwischen den Bougainvillea zu suchen, schiebe Äste beiseite und erforsche die Außenmauern der Villen. Es ist still, niemand auf der Straße. Ich sehe eine Biene vorbeifliegen, folge ihr mit den Augen, verliere sie aber sofort. Eine andere kommt, eine dritte, noch mehr, ich beschleunige meinen Schritt in ihre Richtung. Bleibe irgendwann stehen und warte. Ich sehe sie zurückkommen und sich einem Bretterhaufen, der an einem Baum in der Mitte eines erdigen Platzes lehnt, zuwenden; die Bienen fliegen zwischen zwei Brettern durch und verschwinden im Dunkel. Ich mache mich wieder mit Pullover und Plastiktüte bereit, doch heute habe ich statt des Stacheldrahts ein Sandschäufelchen und eine Plastikharke vom Lappen dabei; und ich habe auch Gartenhandschuhe mitgenommen. Ich gehe zu dem Baum, knie mich vor den Brettern auf den Boden und schiebe das Schäufelchen hinein. Ohne etwas zu sehen, fuchtele ich damit herum,
und es erhebt sich ein erster Schwarm zum Flug. Durch die matte Plastiktüte kann ich erkennen, dass der Schwarm einige Meter über meinem Kopf die Form zweier ausgebreiteter Flügel angenommen hat, grazil und kraftvoll, mit einem länglichen Körper, ebenso

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