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Die Glasfresser

Titel: Die Glasfresser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giorgio Vasta
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Rollen gesetzt, wie ein Einkaufswagen im Supermarkt. In den Wiegen lag ein Gänschen oder eine Plüschmaus mit einer zusammengerollten Glückwunschkarte.

    Als ich in den kleinen Raum zurückkehrte, war die Schnur noch nicht wieder da: Ich setzte mich hin, wartete weiter. Nach einer Stunde kam sie. Der Stein stützte sie am Unterarm, doch das schien nicht notwendig. Sie hatten gesagt, sie könne nach Hause gehen, sie müsse sich ausruhen. Im Auto erzählte mir die Schnur, dass sie den Eingriff gemacht hätten, dann eine Injektion mit einem blutstillenden und eine mit einem gerinnungshemmenden Mittel, dass alles vorbeigehen, die Dinge jetzt aber auf eine andere Art ablaufen würden. Sie fing an zu weinen. Ich verstand nicht, auf welche andere Art die Dinge ablaufen würden, doch ich fragte nichts. Einige Tage lang fand ich sie, wenn ich in ihr Schlafzimmer kam, immer weinend vor; im Nachthemd, im Sessel, die Arme immer in der gleichen Position auf den Lehnen, die Hände geöffnet, mit Fingern, die zitterten. Sie weinte leise - vom anderen Zimmer aus hörte man nichts -, schaute nach oben, mit einem verzerrten Gesicht und Augen, in denen viel Weiß war. Am Anfang bemerkte sie es nicht, wenn ich hereinkam, doch dann wandte sie sich zu mir hin und machte ein Zeichen mit der offenen Hand, als wollte sie die Luft in meine Richtung drücken. Mit der Zeit beruhigte sie sich und fragte nach dem Lappen: Sie hatte versucht, ihm zu erklären, was geschehen war, doch er hatte sie nur ausdruckslos angesehen, und da hatte sie es aufgegeben. Doch gewiss, sagte sie, habe er die Anspannung gespürt.
    Tatsächlich hatte sich vom Tag der Fehlgeburt an beim Lappen irgendetwas verändert. Er hatte nun immer ein Brötchen dabei. Das war an und für sich normal, vielleicht hatte er Hunger. Nur war das Brötchen immer dasselbe. Ab und zu nahm er es in die Hand, betrachtete es und legte es wieder zurück. Nie ein Bissen, nichts, das Brötchen blieb unberührt. Einmal, als er vor dem Fernseher schlief und es in seinem Schoß lag, näherte ich mich auf Zehenspitzen und untersuchte es. Es war handgroß, oval, flach im unteren Teil, unregelmäßig nach außen gewölbt im oberen, mit einer Reihe von Dellen und Beulen. Die Kruste war wohl einmal honigfarben gewesen, doch jetzt hellgelb und an einigen Stellen gesprungen, an anderen zerbröckelt. Der Sesam war fast ganz
verschwunden, nur in den Höhlungen gab es noch Reste davon, während sich an den Seiten grünliche Risse gebildet hatten; grün schien es auch im Inneren zu sein, die Krume trocken.
    In den folgenden Tagen begann das Brötchen zu zerfallen. Der Lappen betrachtete es, drückte sanft auf die Kruste: Sie war weich, die Finger sanken ein. Ich beobachtete ihn, wie er sein Brötchen versorgte, es in eine Tasse tauchte, die er mit lauwarmem Wasser gefüllt hatte. Erbrachte es zum Trocknen auf den Balkon, bewachte es und stand hin und wieder auf, um es zu kontrollieren. Er ging in die Küche, legte es für eine Stunde in den Kühlschrank; holte es heraus und trug es ins Bad; er befeuchtete es im Wasserstrahl des Bidets, nahm den Föhn, steckte den Stecker in die Steckdose, schaltete den Föhn ein und trocknete das Brötchen eine Viertelstunde lang; danach brachte er es zurück in die Küche, stieg auf einen Stuhl und legte es für einen halben Tag ins Tiefkühlfach. Schließlich packte er es in Folie und Toilettenpapier ein, wickelte das alte Tuch aus roter Wolle darum, das die Schnur benutzte, um kranke kleine Katzen zum Tierarzt zu tragen; das Bündel wurde in dem Fach unter der Nachttischschublade untergebracht. Die Nacht verging damit, dass der Lappen in regelmäßigen Abständen - ich weiß es, weil ich wach wurde - das Licht auf dem Nachttisch anknipste, das Bündel nahm und es betastete.
    Es ärgerte mich, dass ich nicht verstand, was los war. Doch es war unmöglich, den Lappen direkt zu fragen. Der Lappen ist ein nonverbaler Organismus, man kann ihn nicht zu Worten zwingen. Zumindest nicht dazu, dass er etwas sagt. Doch der Versuch, etwas durch das geschriebene Wort zu verstehen, war legitim. Also hatte ich eines Nachmittags, als er nicht da war, seine Schulhefte gesucht, sie aufgeklappt und durchgeblättert. Seine Schrift war wie die einer Schildkröte, wenn sie schreiben könnte. In einzelne, winzig kleine Teile zerbrochen, das E wie ein Hexagon, das O ein Dodekaeder. Sein Strich war fein, beinahe unleserlich. Um einige Aufsätze zu entziffern, brauchte ich eine Stunde, ohne

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