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Die Glasglocke (German Edition)

Die Glasglocke (German Edition)

Titel: Die Glasglocke (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvia Plath
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Schläuchen herum und kümmerte sich nicht um mich.
    »Aha«, sagte Irwin.
    »Es ist eine Rechnung über zwanzig Dollar für eine Notbehandlung an einem bestimmten Tag im Dezember und eine Nachuntersuchung eine Woche später.«
    »Aha«, sagte Irwin.
    »Das Krankenhaus schreibt, sie würden die Rechnung jetzt mir schicken, weil du auf die Rechnung, die sie dir geschickt haben, nicht reagiert hättest.«
    »Schon gut, schon gut, ich schicke ihnen einen Scheck. Ich schicke ihnen einen Blankoscheck.« Irwins Stimme nahm einen etwas anderen Klang an. »Wann sehe ich dich wieder?«
    »Willst du das wirklich wissen?«
    »Unbedingt.«
    »Nie«, sagte ich und legte mit einem entschiedenen Klick auf.
    Ich überlegte kurz, ob Irwin seinen Scheck nun überhaupt noch schicken würde, aber dann dachte ich: »Bestimmt wird er – er ist Mathematikprofessor, er wird nichts unerledigt lassen wollen.«
    Ich hatte weiche Knie und war seltsamerweise doch gleichzeitig erleichtert.
    Irwins Stimme hatte mir nichts bedeutet.
    Seit unserer ersten und letzten Begegnung hatte ich zum erstenmal mit ihm gesprochen und war mir ziemlich sicher, daß es auch das letzte Mal gewesen war. Irwin hatte keine Möglichkeit, Kontakt mit mir aufzunehmen. Er hätte allenfalls zu Schwester Kennedy gehen können. Aber die war nach Joans Tod umgezogen und hatte keine Spuren hinterlassen.
    Ich war vollkommen frei.
    Joans Eltern luden mich zu der Beerdigung ein.
    Ich sei, schrieb Mrs. Gilling, eine von Joans besten Freundinnen gewesen.
    »Sie brauchen nicht hinzugehen«, sagte Mrs. Nolan zu mir. »Sie können schreiben, ich hätte gesagt, es sei besser, nicht hinzugehen.«
    »Ich werde hingehen«, sagte ich, und ich ging und fragte michdie ganze Zeit während der einfachen Zeremonie, was ich da eigentlich zu Grabe zu tragen glaubte.
    Vor dem Altar stand inmitten schneeblasser Blumen der Sarg – der schwarze Schatten von etwas, das nicht da war. Die Gesichter in den Bankreihen um mich waren im Licht der Kerzen wachsbleich, und Fichtenzweige, die von Weihnachten übriggeblieben waren, erfüllten die kalte Luft mit einem totenfeierlichen Duft.
    Neben mir blühten Jodys Wangen wie reife Äpfel, und hier und da erkannte ich in der kleinen Gemeinde andere Gesichter von anderen Mädchen aus dem College und aus meiner Heimatstadt, die Joan gekannt hatten. DeeDee und Schwester Kennedy hielten in der vorderen Bank die kopftuchbedeckten Köpfe gesenkt.
    Dann sah ich hinter dem Sarg und den Blumen und dem Gesicht des Geistlichen und den Gesichtern der Trauernden die welligen Rasenflächen unseres Friedhofs, knietief unter Schnee versunken, aus dem die Grabsteine wie Kamine ohne Rauch aufragten.
    Irgendwo dort war ein schwarzes, zwei Meter tiefes Loch in den harten Boden gehackt worden. Jener Schatten würde sich mit diesem Schatten verbinden, und die eigentümlich gelbe Erde unserer Gegend würde die Wunde in all dem Weiß verschließen, und der nächste Schnee würde auch die Spuren von Neuheit an Joans Grab auslöschen.
    Ich holte tief Luft und lauschte dem Prahlen meines Herzens.
    Ich bin, ich bin, ich bin.
    Die Ärzte hatten sich zu ihrer wöchentlichen Sitzung versammelt – alte Angelegenheiten, neue Angelegenheiten, Aufnahmen, Entlassungen und Gespräche. Während ich blindlings in einem zerlesenen National Geographic -Heft blätterte, wartete ich in der Anstaltsbibliothek darauf, daß ich an die Reihe kam.
    Patienten in Begleitung von Schwestern wanderten an denwohlgefüllten Regalen entlang und unterhielten sich leise mit der Anstaltsbibliothekarin, die selbst einmal hier Patientin gewesen war. Ich beobachtete, wie sie sich bewegte – kurzsichtig, altjüngferlich, erloschen –, und fragte mich, woher sie eigentlich wußte, daß sie darüber hinweg und im Unterschied zu ihrer Klientel gesund und munter war.
    »Keine Angst«, hatte Mrs. Nolan gesagt. »Ich werde dabei sein und die anderen Ärzte, die Sie kennen, auch – außerdem ein paar Gäste. Doktor Vining, der Chefarzt, wird Ihnen einige Fragen stellen, und dann können Sie gehen.«
    Aber trotz Mrs. Nolans beruhigenden Worten stand ich Todesängste aus.
    Ich hatte gehofft, ich würde bei meiner Entlassung selbstsicher sein und genau wissen, was vor mir lag – schließlich war ich nun »analysiert«. Statt dessen konnte ich vor mir nur Fragezeichen erkennen.
    Immer wieder warf ich unruhige Blicke nach der geschlossenen Tür des Konferenzsaals. Meine Strumpfnähte saßen gerade, meine schwarzen Schuhe waren

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