Die Glasglocke (German Edition)
stehen«, hatte ich Mrs. Nolan gesagt. »Ein Mann braucht sich keinerlei Sorgen zu machen, aber über mir hängt immerzu ein Baby, wie ein riesiger Prügel, und hält mich in Schach.«
»Würden Sie sich denn anders verhalten, wenn Sie sich wegen eines Babys keine Sorgen zu machen brauchten?«
»Ja«, sagte ich, »aber …« – und dann erzählte ich Mrs. Nolan von der verheirateten Rechtsanwältin und ihrer Lanze für die Keuschheit.
Mrs. Nolan wartete, bis ich geendet hatte. Dann brach sie in Lachen aus. »Propaganda!« sagte sie und kritzelte Namen und Adresse dieses Arztes auf einen Rezeptblock.
Nervös blätterte ich in einer Ausgabe von Baby Talk. Von jeder Seite strahlten mich dicke, muntere Babygesichter an – kahlköpfige Babys, schokoladenbraune Babys, Babys mit Eisenhowergesichtern, Babys, die sich zum erstenmal herumwälzten, Babys, die nach Rasseln griffen, Babys, die den ersten Löffel feste Nahrung zu sich nahmen, Babys, die all die vertrackten Dinge taten, die nötig sind, um Schritt für Schritt in eine angstvolle, beunruhigende Welt hineinzuwachsen.
Ich roch eine Mischung aus Babynahrung, saurer Milch und nach Stockfisch stinkenden Windeln und empfand Bekümmerung und Zärtlichkeit zugleich. Wie leicht diesen Frauen hier das Kinderkriegen zu fallen schien! Warum war ich so unmütterlich und distanziert? Warum konnte ich nicht davon träumen, mich einem wimmernden Baby nach dem anderen zu widmen, wie Dodo Conway?
Wenn ich mich den ganzen Tag um ein Baby kümmern müßte, würde ich verrückt werden.
Ich betrachtete das Baby auf dem Schoß der Frau mir gegenüber. Ich hatte keine Ahnung, wie alt es war, bei Babys konnte ich das nie erkennen – ich wußte, daß es plappern konnte, was das Zeug hielt, und daß es hinter seinen zusammengezogenen, rosa Lippen zwanzig Zähne hatte. Es hielt seinen kleinen Wackelkopf auf den Schulten – einen Hals hatte es anscheinend nicht – und sah mich mit kluger, gelassener Miene an.
Die Mutter des Babys lächelte in einem fort und hielt ihr Kind vor sich, als wäre es das erste Weltwunder. Ich suchte nach Anzeichen wechselseitiger Zufriedenheit bei Mutter und Kind, aber ehe ich etwas entdeckte, rief mich der Doktor herein.
»Sie möchten eine Einpassung«, sagte er fröhlich, und ich stellte erleichtert fest, daß er keiner von den Ärzten war, die einem peinliche Fragen stellen. Ich hatte schon mit dem Gedanken gespielt, ihm zu erzählen, ich hätte vor, einen Matrosen zu heiraten, sobald sein Schiff im Marinehafen Charlestown angelegt hatte, und einen Verlobungsring trüge ich nur deshalb nicht, weil wir so arm seien, aber im letzten Augenblick verwarf ich diese rührende Geschichte und sagte einfach: »Ja.«
Ich kletterte auf den Untersuchungstisch und dachte: »Ich klettere in die Freiheit, die Freiheit von der Angst, von der Aussicht auf die Ehe mit einem Falschen wie Buddy Willard nur wegen des Sex, von der Aussicht auf die Florence-Crittenden-Heime, wo all die armen Mädchen leben, die sich, wie ich jetzt, eine Einpassung hätten machen lassen sollen, denn was sie taten, taten sie so oder so, gleichgültig, ob …«
Als ich in die Anstalt zurückfuhr, auf dem Schoß eine Schachtelin einfachem braunem Packpapier, hätte ich Frau Irgendwer sein können, die mit einem Kuchen von Schrafft's für die ledige Tante oder mit einem Hut aus Filene's Basement von einem Ausflug in die Stadt zurückkehrt. Als der Argwohn, alle Katholiken hätten Röntgenaugen, nach und nach verblaßte, wurde mir leichter ums Herz. Ich hatte meine Einkaufserlaubnis gut genutzt, fand ich.
Ich war jetzt meine eigene Herrin.
Als nächstes mußte ich den richtigen Mann finden.
Neunzehn
»Ich werde Psychiaterin.«
Joan sprach mit ihrer üblichen atemlosen Begeisterung. Wir saßen, jede mit einem Glas Apfelsaft vor sich, im Aufenthaltsraum von Belsize.
»Oh«, sagte ich trocken, »wie schön.«
»Ich habe mich lange mit Miss Quinn unterhalten, und sie hält es für durchaus möglich.« Miss Quinn war Joans Psychiaterin, eine lebhafte, gescheite, alleinstehende Frau. Ich hatte mir oft überlegt, daß ich, wenn man mich Miss Quinn zugewiesen hätte, wohl noch immer in Caplan, wahrscheinlich sogar in Wymark wäre. Miss Quinn hatte etwas Abstraktes an sich, das Joan faszinierte, bei dem mich jedoch ein eisiges Frösteln überkam.
Joan schwatze von Ich und Es, während ich mit meinen Gedanken ganz woanders war, bei der braunen, unausgepackten Schachtel in der unteren Schublade
Weitere Kostenlose Bücher