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Die Glasglocke (German Edition)

Die Glasglocke (German Edition)

Titel: Die Glasglocke (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvia Plath
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findet eine Frau bei einer anderen Frau, das sie nicht auch bei einem Mann findet?«
    Mrs. Nolan blieb einen Augenblick still. Dann sagte sie: »Zärtlichkeit.«
    Das machte mich stumm.
    »Ich mag dich«, sagte Joan immer wieder. »Ich mag dich lieber als Buddy.«
    Und als sie sich mit albernem Lächeln auf meinem Bett breit machte, fiel mir ein kleinerer Skandal aus unserem College-Wohnheim ein, zu dem es kam, als sich eine dicke Studentin im letzten Semester mit matronenhaften Brüsten, gemütlich wie eine Großmutter, ein frommes Mädchen, das Theologie im Hauptfach studierte, zu häufig mit einer großen, bäurischen Studentin im ersten Jahr traf, von der es hieß, alle Jungen, mit denen sie sich zum erstenmal verabredet hatte, hätten sich nach kürzester Zeit unter den sonderbarsten Vorwänden wieder aus dem Staub gemacht. Immer waren die beiden zusammen, und einmal, so hieß es, habe jemand sie dabei ertappt, wie sie sich im Zimmer des dicken Mädchens umarmten.
    »Aber was haben sie getan ?« hatte ich gefragt. Wenn ich an Männer mit Männern und Frauen mit Frauen dachte, konnte ich mir nie recht vorstellen, was sie eigentlich taten.
    »Oh«, hatte die Spionin gesagt, »Milly saß auf einem Stuhl, und Theodora lag auf dem Bett, und Milly strich Theodora über das Haar.«
    Ich war enttäuscht. Ich hatte erwartet, mir würde sich irgendein besonders schlimmes Laster offenbaren. Ich fragte mich, ob alle Frauen mit anderen Frauen nichts anderes taten als daliegen und sich umarmen.
    Gewiß, die berühmte Lyrikerin an meinem College lebte mit einer anderen Frau zusammen – einer stämmigen Altphilologin mit kurzem Pony. Und als ich dieser Lyrikerin gesagt hatte, wahrscheinlich würde ich eines Tages heiraten und einen Haufen Kinder bekommen, da hatte sie mich erschrocken angestarrt und gerufen: »Aber was wird aus Ihrer Karriere ?«
    Der Kopf tat mir weh. Warum zog gerade ich diese verrückten alten Frauen an? Die berühmte Lyrikerin und Philomena Guinea und Jay Cee und die Frau von Christian Science und wer weiß wen sonst noch, sie alle wollten mich irgendwie adoptieren, und zum Lohn für ihre Mühe und ihren Einfluß sollte ich ihnen irgendwie gleich werden.
    »Ich mag dich.«
    »Wie dumm, Joan«, sagte ich und nahm mein Buch wieder vor. »Ich mag dich nämlich nicht. Ich finde dich zum Kotzen, wenn du's genau wissen willst.«
    Ich ging hinaus und ließ Joan, schwerfällig wie ein altes Pferd, auf meinem Bett zurück.
    Ich wartete auf den Doktor und überlegte, ob ich mich nicht doch noch verdrücken sollte. Ich wußte, was ich tat, war illegal – zumindest in Massachusetts, weil es hier so viele Katholiken gab –, aber Mrs. Nolan hatte gesagt, dieser Doktor sei ein alter Freund von ihr, ein vernünftiger Mann.
    »Weshalb sind Sie hier?« wollte die muntere Sprechstundenhilfe im weißen Kittel wissen, als sie meinen Namen auf einer Liste abhakte.
    »Wie meinen Sie das – weshalb ?« Ich war nicht darauf gefaßt, daß mir jemand außer dem Doktor diese Frage stellen würde, und das Gemeinschaftswartezimmer war voller Patientinnen, auch für andere Ärzte, die meisten schwanger, oder sie hatten Babys dabei, und ich fühlte ihre Blicke auf meinem flachen, jungfräulichen Bauch.
    Die Sprechstundenhilfe sah hoch, und ich wurde rot.
    »Eine Einpassung nicht wahr?« sagte sie freundlich. »Ich frage nur, damit ich weiß, was ich Ihnen berechnen muß. Sind Sie Studentin?«
    »Ja.«
    »Dann macht es die Hälfte. Fünf Dollar, statt zehn. Soll ich Ihnen eine Rechnung schicken?«
    Ich wollte schon die Adresse von zu Hause angeben, wo ich wahrscheinlich sein würde, wenn die Rechnung kam, aber dann fiel mir ein, daß womöglich meine Mutter die Rechnung öffnen und sehen würde, worum es ging. Ansonsten hätte ich nur nochdie unauffällige Postfachnummer angeben können, die von den Leuten benutzt wurde, die nicht zu erkennen geben wollten, daß sie in einer Anstalt lebten. Aber ich dachte, die Sprechstundenhilfe würde diese Postfachnummer vielleicht kennen, deshalb sagte ich: »Ich zahle am besten gleich«, und zog fünf Dollarnoten aus dem Bündel in meinem Portemonnaie. Die fünf Dollar gehörten zu dem, was mir Philomena Guinea als eine Art Genesungsgeschenk geschickt hatte. Ich fragte mich, was sie wohl denken würde, wenn sie wüßte, wozu ich ihr Geld verwendete.
    Ob sie es wußte oder nicht – Philomena Guinea erkaufte mir die Freiheit.
    »Ich ertrage den Gedanken nicht, unter der Fuchtel eines Mannes zu

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