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Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin

Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin

Titel: Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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etwas Lebendiges töte. Wie kann ich dich lieben, wenn ich die Liebe in mir ersticken soll?
     
     
     
     
    E r hörte die Kirchenpforte zufallen und hielt inne. In der Finsternis des Doms hallten Schritte wider, Absätze von Stiefeln, ohne dass Sandro jemanden gesehen hätte. Die einzige Lichtquelle des Doms hielt Sandro in seiner Hand, eine Kerze, die halb abgebrannt war.
    Er erhob sich.
    Die Schritte kamen näher. Noch immer sah er niemanden, so als würde kein Mensch durch den Dom schreiten, sondern ein unsichtbares Wesen.
    Wer immer es war, er musste es irgendwie geschafft haben, an den Soldaten vorbeizukommen, die den Domplatz seit Tagen bewachten.
    Sandro blies die Kerze aus, ein dünner Rauchfaden stieg auf, wurde schwächer, erstarb. Nun war auch Sandro unsichtbar. Andererseits verkörperte eine brennende Kerze immer auch ein bisschen Trost inmitten einer absoluten, verwirrenden Dunkelheit, und kaum war sie verloschen, kam er sich hilflos vor.
    Er tastete sich voran, irgendwohin. In den Sandalen machte er kein Geräusch, aber er stieß an eine Säule und stöhnte kurz auf.
    Die Schritte kamen plötzlich aus einer anderen Richtung. Er wirbelte herum. Doch das nutzte nichts. Wohin er sich auch drehte, er glaubte, dass sich ihm jemand von hinten näherte. Die Steine, die Fenster, die Gewölbe, das alles reflektierte die Geräusche und warf sie durch den immensen Kirchenraum.
    Die Pforte, dachte er. Er stand in der Nähe der Nebenpforte, so weit hatte er sich orientiert. Sie war nur ein paar Schritte entfernt. Mit drei, vier beherzten Sprüngen könnte er sich retten.
    Einen Augenblick zögerte er, dann war er so weit. Er tat es, er floh. Er wusste, wo die Säule war, er spürte sie, er spürte die Mauer, tastete sich ein wenig nach links, und tatsächlich: Da war der Erker, da war die Pforte, klein und unbedeutend, eine Kerkaporta, nur dass niemand durch sie eindringen, sondern ausbrechen würde.
    Sie war verschlossen.
    Wer, um Himmels willen, kam auf die Idee, eine Nebenpforte zu verschließen, da doch die Hauptpforte Tag und Nacht geöffnet war!
    Sandro zischte einen leisen Fluch durch die Zähne. Beim Versuch, die Pforte zu öffnen, hatte er seinen Standort verraten.
    Er tastete sich zurück in den offenen Kirchenraum.
    War es Villefranche ebenso ergangen, war er durch heillose Dunkelheit gelaufen? Hatte der Erzbischof von Toulouse versucht, seinem Mörder zu entkommen, hatte er Angst verspürt, Todesangst? Alles hatte darauf hingedeutet: ein an vielen Stellen eingerissenes Gewand, Kratzer an den Beinen, ein Blutegel. Der Tod hatte Villefranche inmitten des größten Entsetzens getroffen, wie Sandro in den Augen gesehen hatte. Bevor er in den Dom gegangen war, hatte er die Leiche und den Tatort am Fluss untersucht. Neben Villefranche hatte eine Feder gelegen, eine Schreibfeder, wie eine Grabbeigabe, die den Toten in ein anderes Leben begleiten sollte. Oder war es eine solche Feder gewesen, die bei Bertani zum Einritzen des Hurensymbols gedient hatte?
    Er war schon fast an der Hauptpforte angelangt, als er geradewegs gegen einen anderen Körper lief.
    Starke Hände hielten ihn an den Schultern fest.
    Mit einem Ruck befreite er sich, holte aus und schlug zu.
    Seine Hand schmerzte.
    Im nächsten Moment traf ihn das Echo, ein weit wuchtigerer Schlag, als er ihn ausgeteilt hatte.
    Er fiel auf den Bauch, schlug sich das Kinn auf, aber er spürte kaum noch etwas. Unmöglich für ihn, sich zu bewegen. Er hatte einen Willen, einen starken Willen, aber den Verlust seines Bewusstseins vermochte er nicht aufzuhalten.
    So als würde er einschlafen, glitt er in das Nichts.

18
    Dort waren Schreie. Dort zitterte der Boden. Da war Blut. Niemand war unverletzt, jeder hatte kleine Wunden an den Unterarmen. Steinbrocken, Holzlatten, Knüppel, Hämmer, Kerzenleuchter und Kruzifixe: In ihren Händen wurde alles zu Waffen.
    Es gab keinen Frieden mehr, alles war Untergang und Vernichtung. Eine tobende, hasserfüllte Welt inmitten des Gotteshauses. Die Figuren in den Fenstern weinten, als man sie zertrümmerte. Antonia, barfuß und im Nachthemd, weinte mit ihnen. Ihr Gesicht war heiß und rot. Die anderen beachteten sie, das kleine Mädchen, nicht. Niemand? Doch, da war jemand, eine Gestalt. Wie alle anderen hatte die Gestalt kein Gesicht, so als ob sie eine Maske trüge. Sie blieb stehen, als sie Antonia sah, und kam langsam auf sie zu. In der Hand trug sie ein einfaches Küchenholz. Sie kam näher und näher. Antonia streckte

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