Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin
Zeichenfeder?«, fragte er Innocento. »Hast du sie neben den Leichnam gelegt?«
»Von einer Feder weiß ich nichts.«
»Dann hat Villefranche sie bei sich getragen«, stellte Sandro, mehr an sich selbst als an Innocento gewandt, fest. »Vermutlich hat er sich gerade mit Zeichnen die Zeit vertrieben, als die fingierte Nachricht ihn erreichte, und er hat die Feder in der Eile eingesteckt. Sie fiel zu Boden, als er zu Tode kam.«
»War es … war es diese Feder, durch die du mir auf die Spur gekommen bist?«
Sandro antwortete nicht, sondern blickte Innocento für einen kurzen Augenblick mitleidlos an. »Wäre das Morden weitergegangen?«, fragte er.
Innocento starrte wieder dorthin, wo der Käfer mit erlahmender Kraft gegen den Tod kämpfte. Beide, Innocento und der Käfer, schienen jetzt erschöpft, schicksalsergeben. »Ich weiß es nicht«, antwortete er mit einer Gleichgültigkeit, die grenzenlos war. »Nach Luis de Soto wollte ich damit aufhören, aber wer weiß … Dass er dich verhaften und vernichten wollte, Sandro, hat gereicht, um den Entschluss zu fassen, ihn zu töten. Ich hatte dir doch mein Wort gegeben: Freunde für immer. Du hast mein Leben gerettet und ich … War das eine Falle, Sandro? Als du vorhin zu mir kamst und mich um Hilfe gebeten hast …«
Innocento löste seinen Blick von dem sterbenden Käfer und sah Sandro an. »Hast du meine Freundschaft ausgenutzt, um mich zu überführen?«
Sandro senkte den Kopf und spürte eine Scham und Ergriffenheit, die ihm unangemessen vorkam, die er dann jedoch akzeptierte. Er hatte nicht auf alles eine Antwort. Er wusste nicht, wieso er Innocento noch mochte, obwohl er in den Augen Gottes die schlimmsten Verbrechen begangen hatte. War es, weil er ihn im Grunde verstand? Nicht in dem Sinne, dass er guthieß, was Innocento getan hatte, sondern weil er selbst vor sieben Jahren nur einen Fingerbreit vom Schicksal Innocentos entfernt gewesen war.
»Ja«, sagte er, »aber ich bin nicht stolz auf diesen Teil meiner Arbeit.«
»Was soll’s, Sandro? Es war deine Aufgabe, es musste sein. Um mich ist es nicht allzu schade.«
Sandro war mit dem Verhör fertig. Er befahl der Wache, Innocento Hauptmann Forli vorzuführen, der nach eigenem Gutdünken entscheiden solle, wie mit einem so hochrangigen Gefangenen umzugehen sei. Der Papst musste informiert werden, ebenso der Fürstbischof. Aber das wäre nicht mehr seine, Sandros, Aufgabe. Für ihn war der Fall abgeschlossen.
»Ich frage mich«, sagte Innocento, bevor ihrer beider Wege, die sich nur kurz gekreuzt hatten, sich für immer trennen würden, »ich frage mich, ob der Käfer dort weiß, dass er gleich sterben wird. Spürt er, dass jede vergebliche Bewegung, die er macht, ihm dem Tod näher bringt? Und weiß er, dass wir ihm beim Sterben zusehen?«
Sandro antwortete nicht. Man brachte Innocento weg.
»Der ist doch völlig verrückt geworden«, rief Luis, kaum dass Innocento den Raum verlassen hatte. »Er hätte mich beinahe umgebracht.«
Sandro trank seinen Becher Branntwein aus. »Von allen seinen Taten verüble ich ihm diese am wenigsten. Der Junge hat Augen im Kopf, und er hat gesehen, wie du dich in den letzten Tagen aufgeführt hast. Als ihr euch in seinem Quartier gestritten habt, hast du deine Verachtung für ihn deutlich gezeigt.«
»Das ist doch … Woher weißt du davon?«
»Nebensächlich. Durch diesen Streit erfuhr ich, dass Innocento der Mann mit dem Geld war. Er hätte also wissen können, wie er Villefranche am besten aus dem Haus locken konnte. Durch dieses Detail setzte sich ein Bild in mir zusammen. Angenommen, nur mal angenommen, Innocento wäre der Mörder, sagte ich mir plötzlich. Und weiterhin angenommen, Villefranche und Cespedes hätten, als ich sie nach der Konzilseröffnung zusammen sah, die Schmähschrift auf Innocento in der Hand gehalten. Ich hatte erfahren, dass Villefranche zeichnen konnte, also könnte er der Urheber des Machwerks sein. War das vielleicht die Verbindung, nach der ich suchte? Doch wie passte Bertani ins Bild? Carlotta erzählte mir von Bertanis Leben und der Beziehung zu einer jungen Hure mit einem G als Anfangsbuchstabe des Vornamens – Gina; Bruno Bolco erinnerte sich trotz seiner zahlreichen Biere daran, dass Innocento an jenem Abend für längere Zeit die Schänke verlassen hatte, angeblich um auszutreten; Fabrizio Schiacca schließlich berichtete mir, wo Cespedes und er sich kennengelernt hatten, nämlich in der Druckerei, in der Cespedes das
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