Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin
In Verona wäre es mir schwer gefallen, an Bertani heranzukommen.«
»Aber …« Luis machte eine hilflose, verwunderte Geste. »Ihr wart doch überhaupt nicht in Trient. Ihr traft erst am übernächsten Tag ein.«
Innocento grinste müde.
Sandro sagte: »Innocento reiste ohne Gefolge. Für einen jungen Mann, der in den römischen Gassen aufgewachsen ist, bedeutet es keine Anstrengung, zwei Nächte ohne festes Quartier auszukommen.«
»Ich hatte ein Lager nicht weit von hier in einem Wald«, sagte Innocento. »Ich schlich mich nach Trient und tat es. Es war so leicht, leichter, als ich geglaubt hatte.«
Luis wurde ärgerlich. »Aber – aber wie konntest du von dieser Gina wissen, Sandro?« Der Ärger, dass Sandro etwas enthüllt hatte, das ihm verborgen geblieben war, stand ihm in die Augen geschrieben. Er fühlte sich persönlich angegriffen.
»Als ich vor einigen Tagen in Innocentos Quartier war«, antwortete Sandro mit unerschütterlicher Sachlichkeit, »um ihn zu bitten, sich für mich einzusetzen, rief er in betrunkenem Zustand nach Gina. Außerdem lag ein Liebesbrief auf seinem Schreibtisch. Daraus folgerte ich, dass Gina seine Geliebte ist. Natürlich war mir zu diesem Zeitpunkt der Zusammenhang zu den Morden noch nicht klar.«
»Ich habe nach Gina gerufen?«, fragte Innocento und fand offenbar Freude an dieser Tatsache.
Sandro beugte sich vor und sah ihm in die Augen. »Nach ihr und deiner Mutter. Ich nehme an, du hast dich sehr einsam gefühlt, so allein mit einem Verbrechen im Herzen … Ich spreche nicht von Bertani – seinetwegen hattest du kein schlechtes Gewissen. Sein Tod war geplant und dürfte dich, wenn ich es richtig einschätze, mit großer Genugtuung erfüllt haben. Du und Gina, ihr wart frei. Aber dann …«
Sandro lief ein paar Schritte im Raum herum, streckte den Arm aus und stützte sich mit der linken Hand, die in ein Tuch gewickelt war und nicht mehr blutete, gegen die Wand. »Aber dann«, sagte er leiser, »kamen die dunklen Stimmen. Ich kenne sie. Wir alle kennen sie. Sie sind in uns, zu jeder Zeit. Man hört sie nur, wenn man schwach, verletzbar, ängstlich ist. Jeder von uns ist jeden Tag einmal schwach.«
Er sah abwechselnd seine Hand, dann Luis und Innocento an. »Wenn ein erstes Verbrechen begangen ist, fällt das zweite nicht mehr schwer«, sagte Sandro. »Als du Bertani getötet hast, ist etwas in dir geweckt worden, unmittelbar nach der Tat. Du hast das Symbol auf der Haut eingeritzt, das Rachesymbol der Huren …«
»Ich kenne es von Gina, sie hat es mir einmal gezeigt. Das war lange bevor ich plante, Bertani umzubringen. Es fiel mir spontan ein, als ich Bertani vor mir liegen sah.«
»In diesem Moment hast du – noch ohne es zu merken – angefangen, den Tod als Spiel zu betrachten. Und die Rache an anderen, ganz anderen Menschen nahm ihren Lauf.«
Innocento sah ihn nicht an. »Ja«, sagte er nur, dann schwieg er eine Weile, starrte an die Wand, starrte auf den Käfer, der verzweifelt summte, starrte auf den Tisch. Ganz unvermittelt, ohne jemanden anzusehen, sagte er: »Diese hochnäsigen, selbstgefälligen, ach so gnädigen Edelleute und Prälaten – es war ja so einfach für sie, mich zu verachten. Auf jemanden wie mich hatten sie schon lange gewartet: ein einfacher Junge, ein Bastard, ungebildet, ungewaschen, gestern noch ein Ragazzo, heute ein Kardinal. Sie waren dankbar, dass ich Kardinal wurde, und wie dankbar sie waren! Auf diese Weise hatten sie etwas, worüber sie bei jedem Fest, jedem Familientreffen, jeder Einladung witzeln konnten. Kennt Ihr schon den neuesten Innocento-Witz? Das wurde zu einem geflügelten Satz in den Sälen. Aus den Witzen wurden Satiren, man heuerte Schauspieler an, die mich parodierten. Eine Zeitlang störte es mich nicht, dann redete ich mir ein, dass es mich nicht störte, dann redete ich anderen ein, dass es mich nicht störte … Ich hasse sie, die ganze römische Clique, die Orsini, die Farnese, und alle, die ihre Freunde sind. Doch sie waren und sind viel zu mächtig, als dass ich oder mein Vater irgendetwas gegen sie tun konnten. Manchmal habe ich Gefolgschaften der Farnese mit meinen Freunden zusammen überfallen und verprügelt. Aber das war mir irgendwann zu wenig. Ich hätte sie am liebsten …« Er schwieg plötzlich.
»Und dann«, sagte Sandro, »kaum in Trient angekommen, fällt dir eines dieser Flugblätter in die Hände.« Er breitete es auf dem Tisch aus.
Es war das Flugblatt, das Innocento in übelster Weise
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