Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin
wenn man sie umstößt.
Sein erster Blick fiel auf Antonias Hand, die noch immer Sandros Arm berührte. Nun zog sie sie vorsichtig zurück.
»Hier bist du, Bruder«, sagte er. »Ich habe dich schon gesucht.«
»Bruder Luis«, erwiderte Sandro und verneigte sich leicht. »Ich habe mich beim Aufstehen ganz plötzlich entschlossen, mein Morgengebet hier im Dom zu verrichten.«
Bruder Luis sah Antonia an und dann wieder Sandro, ohne etwas zu sagen.
»Antonia Bender, die du hier siehst, ist die Glasmalerin, die den Dom anlässlich der Konzilseröffnung neu gestaltet hat. Ich habe sie auf den Tod von Bischof Bertani aufmerksam gemacht, wegen des Porträts in der Apsis, und wir haben gerade …«
»Das ist alles überaus interessant«, unterbrach Bruder Luis, »aber der Fürstbischof erwartet uns in einer dringenden Angelegenheit.«
»Der Fürstbischof erwartet mich ?« Sandro staunte.
»Das sagte ich«, antwortete Bruder Luis mit der mildesten Stimme, die ihm wohl zur Verfügung stand, die aber immer noch etwas Überlegenes an sich hatte. »Und es duldet keinen Aufschub. Es hat etwas zu tun mit … Wie auch immer, es ist wichtig.«
Antonia entging nicht, wie Sandro sich binnen Augenblicken verwandelt hatte. Eben noch ein intelligenter Beobachter, auf gleicher Augenhöhe mit ihr diskutierend, jetzt eine Art Schüler, der sich willig seinem Meister unterordnete.
Schon verschwand der andere Mönch wieder im Seitenportal, und Sandro folgte ihm. Kurz sah es so aus, als würde er sich noch einmal zu ihr umdrehen, aber das war nicht der Fall.
Werden wir uns wiedersehen, war die Frage, die sie gerne gestellt hätte. Aber ihm durfte sie sie nicht stellen. Nicht jetzt.
2
»Er wurde ermordet«, sagte Luis de Soto.
Sandro, der neben Luis die Anhöhe zum Castello hinaufging, blieb abrupt stehen. Er traute seinen Ohren nicht.
»Was hast du gesagt?«
»Salvatore Bertani. Er starb keines natürlichen Todes, sondern wurde umgebracht. Man fand ihn am Morgen erstochen in seinem Quartier. Ich wollte es dir vorab sagen, denn du hast den leidigen Fehler, im ersten Moment nicht gerade intelligent auszusehen, wenn man dich mit einer Neuigkeit konfrontiert.«
»Das ist ja schrecklich.«
»Mit ein wenig Entschlossenheit bekommst du diesen Fehler in den Griff.«
»Ich meinte nicht den Fehler, sondern den Mord, Luis.« Wenn sie allein waren, sprachen sie sich oftmals nur mit Vornamen an, ein Zeichen ihrer engen Zusammenarbeit.
Warum, dachte Sandro, wollte der Bischof sie wegen dieses Mordes sprechen? Ging es um die Auswirkungen, die dieser Tod auf das Konzil haben würde? Bertani war Reformer gewesen, sogar einer der führenden Köpfe der Reformpartei. Würde man das Konzil verschieben? Alle diese Fragen gingen Sandro durch den Kopf, ohne dass er sie laut aussprach. Er war viel zu sehr daran gewöhnt, Luis keine Fragen zu stellen, als dass er jetzt damit angefangen hätte.
Da es zur Residenz des Fürstbischofs ein steiler Weg war, kamen sie nur langsam voran. Es war ein schöner Spaziergang und ein angenehmer Gegensatz zu den vielen Tagen, die Sandro in Skriptorien zubrachte, umgeben von Staub und mumifizierten Insekten, die er zwischen Buchseiten fand. Heute schien die Sonne für Sandro, heute war die Luft frisch und kühl und der Horizont voll mit Bergspitzen. Wenn er nach links blickte, lag unter ihm das beschauliche Trient mit seinen jahrhundertealten Türmen, den gepflegten Kirchen und dem altehrwürdigen, romanischen Dom, dahinter die Obst-, Reben- und Kastanienhaine, und mitten hindurch schlängelte sich in unzähligen Biegungen die Etsch, ein silbriges Band, wie zufällig von Gott dort fallen lassen. Blickte er nach rechts den Hang hinauf, sah er die Mauern des Kastells, und davor eine Wand aus Herbstlaub, teils schimmernd wie Gold, teils rot wie Blut.
»Diese Glasmalerin«, sagte Luis plötzlich und sah Sandro in die Augen, als wolle er darin lesen. »Du bewunderst sie.«
Sandro brauchte Zeit, um zu antworten, Zeit, in der er all seine Konzentration darauf verwendete, seine Augen zu zwei undurchdringlichen schwarzen Perlen werden zu lassen.
»Ihre Kunst ist ansprechend«, antwortete Luis für ihn, als ihm die Wartezeit zu lang wurde. »Aber du misst ihr hoffentlich keine allzu große Bedeutung bei.«
Sandro überlegte. »Warum nicht? Sie macht die Heilige Schrift durch Licht sichtbar. Passender kann eine Geschichte nicht erzählt werden. Nicht einmal die Maler schaffen das, denn sie brauchen Leinwände oder Mauern.
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