Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin
besessen von Frauen oder Männern, von Schenkeln, Füßen, Bauchnabeln, Schmerzen, Schlägen, Bissen, Wunden … Bertani, bei Tageslicht ein liberaler Reformer, verwandelte sich in der Dunkelheit in einen machtverliebten Mann mit absonderlichen Vorlieben. Sollte sie ihn deswegen verachten? Im Grunde genommen unterschied er sich gar nicht so sehr von ihr. Auch sie trug ja ein Geheimnis in sich. Wer ihre unaufdringlich gekleidete Gestalt betrachtete, wer ihren langsamen Schritt beobachtete, in ihre großen, glitzernden, schwarzen Augen blickte, ihre kristallklare Stimme vernahm und ihre weiche Haut fühlte, der vermutete wohl nicht, dass sie bereits einen Versuch unternommen hatte, einen Menschen umzubringen, einen Menschen, mit dem sie noch nie gesprochen und der ihr persönlich kein Leid zugefügt hatte. Nein, sie hatte mit Innocento noch nie etwas zu tun gehabt, und außer seinem Namen und seinem Gesicht kannte sie nichts von ihm.
Damals, vor sieben Monaten, war es Carlotta gelungen, bis vor die Tür des Schlafgemachs des jungen Kardinals zu kommen. Sie hatte mit einem der Bediensteten angebandelt und ihn dazu überredet, dass er sie in seine Kammer innerhalb des Palazzos mitnahm. Als er bekommen hatte, was er wollte, war er eingeschlafen. Sie hatte nicht gezögert und war durch die nächtlichen Gänge geirrt, das Messer unter dem Kleid verborgen, fast wie in ihrem Traum. Ein halbes Dutzend Türen hatte sie geöffnet und wieder geschlossen, nachdem sie festgestellt hatte, dass Innocento dort nicht schlief. Er war im Haus, da war sie sich sicher. Er war nicht ausgegangen, freitags ging er nie aus. Also suchte sie weiter, gab nicht auf, schlich auf Zehenspitzen, wich einem Beschließer auf seinem Kontrollgang aus, tauchte in immer dunkler werdende Flure ein, bis sie endlich am Ziel war.
In Innocentos Zimmer brannten zwei Kerzen neben dem Bett, wahrscheinlich, weil er sich vor der Dunkelheit fürchtete. Ein matter Lichtglanz fiel auf sein glattes, bartloses Gesicht. Das war es also, ihr Opfer. Innocento bedeutete »der Unschuldige«, und das war er tatsächlich. Er war unschuldig.
Und doch todgeweiht.
Kaum hatte sie einen Schritt in den Raum gemacht, hielt eine Hand sie zurück, zog sie auf den Gang und schloss die Tür. Es war der Diener, den sie verführt hatte. Er sah ihr Messer, er durchschaute ihre Absicht. Warum war er aufgewacht? Wieso nur war er ihr nachgeschlichen?
Sie stieß zu, bevor sie denken und er etwas sagen konnte. Er glitt an ihrem Körper hinab und starb in ihrem Schoß. Dort, wo andere Frauen Leben schenkten, nahm sie eines.
Sie war geflohen. Es war ihr unmöglich, den Plan auszuführen, nach dem, was geschehen war. Sie hatte einen Menschen umgebracht, nicht den Sohn des Papstes, sondern einen armen Tropf, der zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen war.
Noch heute, noch in diesem Augenblick, als sie in das lodernde Feuer starrte, lastete jene Tat auf ihrem Gewissen.
Ihren Plan bezüglich Innocento änderte sie dennoch nicht, im Gegenteil, sie fühlte sich darin bestärkt. Die Schuld, die sie auf sich geladen hatte, durfte nicht vergebens gewesen sein. Es hatte sich zwar in Rom seither keine weitere Möglichkeit ergeben, unbemerkt an Innocento heranzukommen, doch hier in Trient hoffte Carlotta auf bessere Bedingungen. Wenn sie den Mord nur nicht im Verborgenen begehen müsste, denn an der Entschlossenheit und der Bereitschaft, dafür einzustehen, fehlte es ihr nicht.
Aber Inés – um Inés’ willen durfte sie nicht gefasst werden.
Bertani kam zurück. Was immer der Fremde ihm gesagt hatte – der Bischof war alles andere als erfreut darüber. Er fluchte leise vor sich hin und ging an Carlotta vorbei zu einer Anrichte, auf der eine Schüssel und ein Krug Wasser bereitstanden. Dort wusch er sich die Hände, zum vierten Mal an diesem Abend – die Haut war mittlerweile so bleich und weich wie die von Leichen. Hatte sich nicht auch Pontius Pilatus die Hände gewaschen, unmittelbar nach der Verurteilung Christi, dachte Carlotta, als Bertani sie mit diesen Händen berührte. Er umschloss ihr Gesicht, und er sah sie mit jenem Ausdruck an, der nichts Gutes verhieß. Carlotta machte sich auf einen weiteren Schlag gefasst.
»Ich brauche das Schriftstück«, sagte sie, »wenn ich Euch auch in Zukunft besuchen soll.«
Was kostete ihn schon ein Schriftstück? Wortlos nahm er das vorbereitete Dokument und legte es auf ihre Kleider, die sich, einem Scheiterhaufen ähnlich, in der Mitte des Raumes
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