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Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin

Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin

Titel: Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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Bertani?«
    »So ist es.«
    »Das kommt mir ungelegen.«
    »Vergebt dem Bischof, ihm kam sein Tod gewiss auch ungelegen«, sagte er auf eine unnachahmlich leidenschaftslose und dennoch schlagfertige Weise, die ihr gefiel.
    Während er sich wieder in die Fenster vertiefte, betrachtete sie ihn genauer wie einen Schmetterling, der mit den Flügeln geschlagen und damit auf sich aufmerksam gemacht hat. Sie beobachtete seinen hervorstehenden Adamsapfel, der beim Schlucken auf und ab rollte, sowie seinen schmalen Hals, der sich neugierig höher zu recken schien, und wieder kam ihr manches an ihm vertraut vor, anderes jedoch nicht.
    »Wie ich sehe«, begann er mit einer sanften Stimme, die nicht recht zu dem analytischen Tonfall passte, »habt Ihr die Schlange des Garten Eden in Eure Apokalypse eingefügt und mit einem Männerkopf dargestellt, statt wie sonst üblich mit einem Frauenkopf. Und dort drüben habt Ihr die Darstellung der Seele verändert. Man zeigt die Seele gern als Säugling, der vom Erzengel Michael im Arm gehalten wird. Bei Euch hält er zwei Säuglinge im Arm, doch er hält sie nicht nur, er wiegt sie, und jenes Kind, das so boshaft grinst, ist schwerer. Aus alledem schließe ich, dass Ihr Euch viel mit dem Bösen beschäftigt und dass Ihr glaubt, es sei männlich und zudem mächtiger als das Gute.«
    Antonia hatte ihre Symbolik so versteckt untergebracht, dass sie geglaubt hatte, niemand würde sie bemerken, und wenn doch, nicht begreifen.
    »Rex tremendae majestatis«, zitierte sie einen Satz aus der Totenmesse. »Herrscher schrecklicher Gestalten. Gott ist der Herr von demütigen Dienern, aber es gibt auch den Herrn von Scheusalen, von Kreaturen unfassbarer Grausamkeit und kalter Berechnung. Das Böse ist überall, und es ist meine Aufgabe als Künstlerin, ihm Gesichter zu geben.«
    »Am gewagtesten finde ich Euer Bild von Mariä Verkündigung«, fuhr er fort. »Weil die Lilie das Symbol der Reinheit ist, wird sie gewöhnlich bei diesem Thema verwendet. Doch Ihr habt neun Lilien gemalt. Neun! Dadurch kehrt Ihr die Wirkung um, denn ein ganzer Strauß Blumen ist ein Angebot, eine Offerte, und keine heilige Handlung mehr. Es scheint, Ihr unterstellt Gott egoistische Motive, als er beschloss, seinen Sohn auf die Erde zu schicken.«
    Sie lächelte ihr schönstes Lächeln. »Sind wir nicht alle Egoisten, wenigstens ein kleines bisschen?«
    »Der Fürstbischof wird Euch tadeln, wenn er dahinterkommt, welche Ideen Ihr in sein nobelstes Gotteshaus gebracht habt. Womöglich kürzt er Eure Entlohnung oder verweigert sie ganz.«
    Ihr gelang der einzige längere Blickkontakt während der Unterhaltung. Seine Augen waren wie schwarze Hüllen. Sie verbargen etwas.
    »Glaubt Ihr, er wird dahinterkommen, Bruder Carissimi?«
    »Nach allem, was ich über ihn höre, wohl nicht.«
    »Werdet Ihr es ihm verraten?«
    »Wohl nicht«, wiederholte er.
    »Dann sind wir uns einig.« Es klang wie eine Verschwörung, was sie auch beabsichtigt hatte. Sie versuchte, ihn intensiv anzusehen, erreichte jedoch nur, dass er sich abwandte.
    »Es ist Zeit«, sagte er knapp. »Ich muss gehen.«
    »Wartet«, rief Antonia und unterbrach zum ersten Mal die Stille des Doms. Ihr Wort verteilte sich im ganzen Kirchenraum. Sie berührte Sandro am Arm, um ihn zurückzuhalten.
    »Wartet, bitte. Geht nicht meinetwegen. Es tut mir leid. Ich benehme mich manchmal ganz unmöglich. Das liegt wohl daran, dass ich viel allein bin und mit mir selbst rede. Wenn man mit sich selbst redet, ist man freizügiger als unter Menschen.«
    »Ich gehe nicht Euretwegen.«
    »Nein? Mir war so. Es ist seltsam, ich habe das Gefühl, dass ich Euch kenne, obwohl ich Euch nicht kenne. Wahrscheinlich ist es das, was mich so vertraut reden lässt. Manche Eurer Antworten weiß ich im Voraus.«
    »Was ich von Euren Fragen und Bemerkungen nicht behaupten kann …«
    »Ihr lächelt ja wieder. Das ist gut, dann habe ich das Gefühl, dass Ihr mir verziehen habt. Aber wieso hört Ihr schon wieder damit auf? Ich finde, dass …«
    Aus dem Dunkel eines Seitenportals kam wie ein Habicht ein weiterer Jesuit hervorgeschossen. Er war etwas älter als Sandro Carissimi, Anfang bis Mitte dreißig, hatte wache Augen und feine Gesichtszüge, die allerdings von der langen Hakennase unschön gestört wurden. Obwohl er dürr war und die Kutte um seinen Körper schlotterte, hatte er etwas Robustes, so wie jene Schnitzfiguren, die am unteren Ende abgerundet sind und sich deswegen immer wieder aufrichten,

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