Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin
sieben Fenster für sieben Schöpfungstage, darauf siebenundsiebzig Szenen von der Erschaffung der Welt, beginnend mit dem Licht und endend beim Menschen, ein einziges, farbenfrohes Fest des Anbeginns, voller Freude und Leichtlebigkeit. Doch ihnen gegenüber, auf der anderen Seite, ihr eigenes Werk, sieben Fenster für die letzten sieben Tage der Welt, mit siebenundsiebzig Szenen aus der Offenbarung des Johannes: die apokalyptischen Fanfaren, Erdbeben, brennende Wälder, der Sturz der Verlorenen ins Flammenmeer, endlose Prozessionen von Gestalten, die auf ihr Verderben zusteuern. Zwischen ihren schattenhaften Leibern und verzerrten Gesichtern waren auch Bruchstücke von Kronen und sogar Bischofsringe zu erkennen, aber auch Geldsäcke, an die sich manche verzweifelt krallten. Das letzte der sieben Fenster zeigte auseinanderstrebende Menschen, in Panik fliehend vor einstürzenden Mauern, und zwischen ihnen grüne, weiße, blaue und rote Juwelen, Glassplitter, die wie kleine Sonnen leuchteten, bevor sie in ein Meer von Blut fielen.
Die letzte Szene war einfach ein schwarzes, ein tiefschwarzes Nichts. Das Licht war verschwunden, es war den Menschen von Gott entzogen worden so wie damals vor zwanzig Jahren in Ulm.
Sie erschauerte, und für einen Augenblick kam es ihr vor, als weiche alle Kraft aus ihrem Körper, als verlasse sie etwas, das sie gefangenhielt, seit sie mit den Entwürfen für diese Arbeit begonnen hatte. Gleich darauf wurde ihr leicht zumute, und sie war glücklich.
»Geht es Euch gut?« Die Stimme klang sehr sanft, eine angenehme Stimme, die man gerne hörte.
Sie wandte sich um und antwortete nicht, sondern sah den Mann einfach an.
»Ich hatte eben den Eindruck, Euch schwindelt«, sagte er und stellte sich vor: »Bruder Sandro Carissimi, aus dem Kolleg in Neapel.«
Jeder Orden entsandte Delegierte zum Konzil; Antonia hatte schon Dominikaner, Zisterzienser, Franziskaner, Karmeliter, Serviter, Augustiner, Theatiner und Kapuziner gesehen. Es wimmelte in der Stadt nur so von Kutten.
»Ihr seid Jesuit, oder?«
»J-ja«, antwortete er irritiert.
»Das dachte ich mir. Die Kutten der Jesuiten sind schwarzweiß, viel feiner gewebt, und sie rascheln wie Laub im Herbstwald. Ich mag diese Kutten. Ich mag Jesuiten.«
Er war ein weiteres Mal verdutzt, weil sie mit ihm sprach, als kenne sie ihn schon seit Jahren und als sei er kein Mönch, sondern ein Mann in einem schwarzweißen Gewand.
»Antonia Bender. Ich bin Glasmalerin und habe mir gerade meine Fenster angesehen.«
»Sie sind atemberaubend.«
»Ich wollte, dass sie Entsetzen auslösen. Wenn Ihr mir ein Lob aussprechen wollte, müsst Ihr sagen, dass sie entsetzlich sind.«
»Also gut, diese Fenster sind entsetzlich.« Ein Lächeln flog über seine Lippen und Augen, aber nur kurz, allzu kurz. Dann machte er wieder ein ernstes, mönchisches Gesicht.
»Danke«, sagte sie. »Aber es ist zu spät, ich weiß leider, dass Ihr es nicht ernst meint. Die Fenster gefallen Euch, aber sie sollten Euch eigentlich abschrecken.« Sie legte ihren Kopf ein wenig zur Seite. »Ihr seid also Italiener?«
Da sie sich auf Italienisch unterhielten und er Neapel erwähnt hatte, war das eine überflüssige Frage, aber sie hörte es gerne, wenn jemand sagte, dass er Italiener sei.
»Römer«, antwortete er.
»Einen Römer habe ich noch nie kennengelernt. Es heißt, in Rom sei die ganze Welt zu finden, alles Schöne und alles Elende in einem Ort. Ist das wahr?«
»Rom ist die atemberaubendste und entsetzlichste Stadt der Welt, und damit ist sie wie Eure Fenster, Antonia Bender.«
Er hatte etwas Wunderbares gesagt, es aber so beiläufig ausgesprochen, als handele es sich um das Aufsagen des Alphabets.
»Übrigens habe ich einen Fehler entdeckt«, sagte er.
Sie lächelte. »In der Kunst gibt es keine Fehler, nur Trugschlüsse.«
»Der Trugschluss befindet sich dort oben.« Er deutete auf ein Fenster über der Apsis, das auf Wunsch des Fürstbischofs von Trient von ihr angefertigt worden war. Darin waren die Bischöfe und Kardinäle porträtiert, die am Konzil teilnehmen würden. Man hatte ihr vor einigen Monaten Zeichnungen geschickt, und sie und ihr Vater hatten sie auf Glas übertragen. Vom künstlerischen Standpunkt aus waren die Porträts unbedeutend.
»Was ist damit?«, fragte sie und zuckte die Schultern.
»Ihr werdet eines der Porträts austauschen müssen, und zwar noch bevor das Konzil beginnt. Der Bischof von Verona ist letzte Nacht verstorben.«
»Salvatore
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