Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin
Waise namens Inés, mit der sie die Klosterzelle teilte. Lauras Briefe an Carlotta waren stets heiter und berichteten von einer sorglosen Zeit.
»Es war die richtige Entscheidung«, stimmte Carlotta schon bald ihrem Gatten Pietro zu.
Einmal im Jahr kam Laura für zwei Sommermonate nach Hause, wo sie stolz zeigte, was sie schon alles gelernt hatte. Ihre Singstimme war zauberhaft, sie sang mühelos die schönsten Lieder, und ihre Handschrift war ein Kunstwerk. Aber am liebsten erzählte sie von Inés.
»Ich denke jeden Tag an sie«, sagte Laura. »Sie ist eine der Wenigen, die niemanden haben, zu dem sie gehen könnten. Sie hat einen Onkel, der ihr den Aufenthalt im Kloster bezahlt, aber nur, damit er sie los ist.«
»Warum lädst du sie nicht einmal ein, deine Inés?«, schlug Carlotta vor. »Sie könnte den Sommer mit uns verbringen, wenn sie niemand anderen hat.«
»Das habe ich, Mama. Ich habe ihr vorgeschlagen, mit mir zu kommen. Aber sie glaubt, sie würde sich aufdrängen.«
Die ersten beiden Sommer kam Laura allein. Im dritten Jahr schickte Carlotta der besten Freundin ihrer Tochter eine Einladung.
Inés war ein schüchternes Mädchen, ganz anders als Laura, und sie gab sich alle Mühe, unnahbar zu wirken. Ihr schlichtes Äußeres unterstrich sie mit schlichter Kleidung, und sie redete wenig.
»Wenn sie mit mir allein ist«, sagte Laura, »ist sie viel offener. Sie ist ein Schatz, Mama.«
Carlotta wusste das. Wenn Inés lächelte, was selten vorkam, erkannte Carlotta ihr gutes, freundliches Wesen. Bei all ihrer Schweigsamkeit war Inés ehrlich, hilfsbereit und eine treue Freundin. Carlotta mochte Inés.
Drei Sommer lang lernten sie sich immer besser kennen, und in dieser Zeit entstand Vertrauen zwischen ihnen. Pietro konnte mit Inés wenig anfangen, aber Pietro war ein Mann, und vielleicht musste man eine Frau sein, um Inés zu verstehen. Sie hatte nie einen Menschen gehabt, der sie geliebt hatte – ihre Eltern waren bald nach ihrer Geburt einem schweren Fieber erlegen -, und Laura und Carlotta waren die Ersten, die dem, was man eine eigene Familie nennt, nahe kamen. Ihre Anhänglichkeit wurde zur Zärtlichkeit. Bald schrieb auch sie Carlotta jede Woche einen Brief, und jedes Mal schickte Carlotta ihr eine Antwort.
Eines Tages – es war im Juni 1545, und Carlotta freute sich schon auf den Besuch ihrer beiden fünfzehnjährigen Mädchen – erhielt sie einen Brief, der anders war als alle, die sie zuvor von Laura erhalten hatte.
Liebe Mama,
hier ist etwas Seltsames geschehen. Einer der Nonnen, Schwester Angela, einer abweisenden, von den anderen wenig respektierten Person, ist die Heilige Mutter Gottes erschienen. Die Äbtissin befahl Schwester Angela zu schweigen, aber die Vision der Schwester hat sich jede Nacht wiederholt, und gestern hat eine weitere Nonne, die Jüngste, Schwester Hortensia, die gleiche Erscheinung gehabt. Niemand versteht, was das zu bedeuten hat.
Hier ist alles in Aufregung. Stell dir vor: Die Mutter Gottes war nur ein paar Klosterzellen von mir entfernt! Ist das nicht spannend? Ich halte Dich auf dem Laufenden. In drei Wochen sind wir wieder zusammen. Inés und ich können es gar nicht erwarten, dich und Papa in die Arme zu schließen.
Deine Dich liebende Tochter
Laura
Nach dem Lesen dieses Briefes hatte Carlotta ein ungutes Gefühl. Es setzte sich in ihrer Brust fest und wurde mit jedem Tag stärker. Es gelang ihr nicht, sich auf ihre Aufgaben im Haushalt zu konzentrieren, immer wieder gingen ihr Lauras Zeilen durch den Kopf. Sie spürte irgendein Unheil, und gleichzeitig redete sie sich ein, dass das nur Einbildung sei.
Als in der folgenden Woche kein Brief von Laura eintraf, wusste Carlotta, dass etwas geschehen war, denn Laura hatte nie auch nur eine einzige Woche ausgelassen. Auch Inés schrieb nicht.
Sie wartete noch zwei Tage bis Sonntag – zwei schreckliche Tage -, ob nicht doch noch ein Brief käme. Dann erst ging sie zu Pietro und vertraute ihm ihre Ängste an.
»Du machst dir unnötig Sorgen«, wiegelte er ab. »Vielleicht wurde sie bestraft, weil sie etwas Ungehöriges getan hat, und sie darf eine Weile nicht schreiben.«
»Und Inés? Nein, ich sage dir, es ist etwas passiert.«
»Was soll denn passiert sein?«
»Das weiß ich auch nicht.«
»Wäre sie krank, hätte man uns benachrichtigt.«
Carlotta ließ sich nicht beruhigen und reiste mit Pietro noch am selben Tag zum Kloster. Als sie dort am Abend ankamen, fanden sie das Tor verriegelt,
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