Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin
schützen. Konzile sind Schlangengruben. Als mein Sohn hast du eine Stellung, die niemanden gleichgültig lässt. Viele werden versuchen, dich auszunutzen, manche werden versuchen, dir zu schaden, um mir zu schaden. Ich habe eine ungeheure Aufgabe, besitze Macht und bin Herr der Gläubigen und der Künste, und dennoch wäre das alles nur eine leere Hülle, wenn dir etwas geschähe. Was bedeuten mir die anderen? Du bist mein einziges Kind.
Vertraue niemandem. Gib Acht auf dich.
Die Worte waren wie Flutwellen, die Carlotta überrollten – und auch die Mauer, die sich zwischen ihr und dem Mordplan aufgebaut hatte. Allein schon diese Schrift zu sehen, einen Brief von seiner Hand in Händen zu halten … Giovanni Maria del Monte, heute Julius III. Für Carlotta war er nicht der Heilige Vater, nicht der Papst, sondern immer noch der Erzbischof von Siponto, der Mörder.
Er hatte hohes Ansehen in seinem Bistum besessen. Auch Carlotta und ihr Mann Pietro hatten zu jenen Gläubigen Sipontos gehört, die froh waren, endlich einen Erzbischof zu haben, der sich um die Anliegen der Leute kümmerte. Del Monte war studierter Jurist, vielleicht ließ diese Ausbildung ihn manche Dinge nüchterner sehen als seine Vorgänger, denen es meist nur um die Verschönerung ihrer Kirchen und die Vergrößerung ihrer Macht gegangen war. Er machte seinen Einfluss geltend, um die hygienischen Verhältnisse in der Hafenstadt Siponto zu verbessern und den Hafen auszubauen. Die heiligen Messen zelebrierte er nicht nur an den hohen Feiertagen in eigener Person, sondern darüberhinaus sechsmal jährlich.
Carlottas Mann Pietro Pezza war der glühendste Verehrer des Erzbischofs del Monte, was unter anderem daran lag, dass er als Schreiber für das Bistum arbeitete. Er verdiente genug, damit die Familie sich die ganze Etage eines sauberen Mietshauses am Rande von Siponto leisten konnten. Es ging ihnen besser als vielen anderen, aber sie gehörten auch nicht gerade zu den Honoratioren der Stadt. Es war ein ruhiges Leben im Mittelmaß, mit kleinen Sorgen, ohne große Wünsche, und Carlotta fühlte sich so wohl wie in einem behüteten Nest. Sie hatte sich an der Seite ihres Mannes und ihrer Tochter eine Art von Existenz geschaffen, von der sie hoffte, sie würde bis ans Ende ihres Lebens fortdauern.
Als der Erzbischof, der mit Pietros Arbeit zufrieden war, ihm das Salär erhöhte, versetzte dieses zusätzliche Geld Carlotta und Pietro in die Lage, ihre einzige Tochter Laura, als sie zehn Jahre alt wurde, zur Erziehung in ein Kloster zu geben. Carlotta sträubte sich zunächst, ihre Tochter fremden Menschen anzuvertrauen.
»Ich würde sie gern in Siponto behalten. Mit dem Geld, das wir einem Kloster geben müssten, können wir genauso gut einen Hauslehrer bezahlen«, wandte sie ein.
Pietro hätte nie etwas ohne ihr Einverständnis entschieden, doch er verstand es, ihre Zweifel zu zerstreuen. Er wies darauf hin, dass eine gute Erziehung und Bildung Laura später bessere Heiratsmöglichkeiten verschaffen und dass sie im Kloster Mädchen aus vornehmen Familien begegnen würde. Nach einem Kirchgang, in dessen Anschluss sie dem Erzbischof del Monte vorgestellt wurde, überzeugte dieser sie vollends, Laura den Franziskanerinnen, den Clarissen, anzuvertrauen. Also besuchte sie das empfohlene Kloster. Es lag sehr hübsch im Hinterland von Siponto auf einer Anhöhe mit Blick auf das Meer, und die Nonnen waren außerordentlich belesen und für ihre sorgfältige Betreuung der ihnen anvertrauten Schützlinge bekannt. Außerdem: Wenn der Erzbischof es empfahl … Der Tag, an dem Carlotta ihre Zustimmung gab, Laura dort erziehen zu lassen, markierte den Wendepunkt in ihrem Leben.
Carlotta vermisste ihre Tochter, aber sie wusste sie gut aufgehoben und sie schloss sie jeden Abend in ihre Gebete ein, ebenso wie sie von Laura in die Gebete eingeschlossen wurde. Selbst über die Entfernung hinweg, blieb ihre enge Beziehung bestehen. Jeder von beiden schrieb der anderen einmal wöchentlich einen Brief.
Laura hatte keine Eingewöhnungsprobleme. Sie war ein lebensfrohes Mädchen, das sich schnell arrangierte und keine Scheu kannte. Statt wegen der Trennung von ihren Eltern trübsinnig zu werden, sah sie das Positive: die freundlichen Nonnen mit ihrer zurückhaltenden Art und der unaufdringlichen Erziehung; die herrliche Luft, die viel besser war als in dem von Fischgeruch geplagten Siponto; die Freundschaften, die sie mit anderen Mädchen schloss, vor allem mit einer
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