Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin
bevorzugte – vielleicht eine Folge seiner Jugend im Armenviertel, wo große, leere Räume unbekannt waren. Vier Truhen, ein Bett mit Baldachin, drei altmodische Sessel, zwei Ottomane, ein lederner Ball, ein Würfelspiel und ein mit Papieren überladener Schreibtisch deuteten darauf hin, dass Innocento sich hier am liebsten aufhielt und die restlichen Räume seines Quartiers nur wenig oder gar nicht benutzte.
Durch die gelb und rosa getönten Fenster fielen die Strahlen der Nachmittagssonne herein und blendeten Carlotta. Sie blinzelte. Kurz war ihr zum Lächeln zumute, denn das farbige Licht, das sich in den Raum ergoss, schuf eine solch behagliche Stimmung, dass sie sich am liebsten gesetzt, alle Sorgen und Pläne vergessen und eine Tasse Kräutertee getrunken hätte.
Dieser Wunsch währte nur kurz. Sie erinnerte sich, weshalb sie hergekommen war: Bei Tageslicht zu erkunden, wie sie bei Dunkelheit zu Innocentos Schlafgemach und zum Bett finden würde. Diese Arbeit war erledigt. Es wäre leicht – selbst ohne Fackel oder Kerze – hinter dem Teppich hervorzukommen, an das Bett zu treten und …
Sie schloss die Augen wie unter einem leichten Schwindel, und als sie sie wieder öffnete, fiel ihr Blick auf einen großen Hund, der halb unter dem Schreibtisch lag. Ihr erster Schreck verflog schnell, denn obwohl er sie bemerkt hatte, schenkte er ihr kaum Aufmerksamkeit, gähnte und schmatzte und sah sie nur gelegentlich mit trüben, greisen Augen an. Er war einer jener Hunde, für die man sofort Zuneigung gepaart mit Mitleid empfand, weil sie alt sind und treu. Sie beugte sich zu ihm.
»Na, mein Guter, wie heißt du?«, fragte sie und streichelte seinen Kopf. Er ließ es sich gefallen.
Sein Fell war dunkelgrau und gepflegt, doch an den zahlreichen alten Narben war abzulesen, dass es nicht immer so gewesen war und dass er schlimme Zeiten erlebt hatte. Normalerweise hielt man Hunde in gesonderten Pferchen oder allenfalls in der Küche. Dass dieser im Schlafgemach sein durfte, verriet die enge Verbindung von Tier und Besitzer.
Der Hund ließ müde seinen Kopf auf die Decke sinken, und Carlotta streichelte ihn ein letztes Mal, bevor sie sich wieder erhob. Dabei fiel ein Papier zu Boden. Sie hob es auf und wollte es wieder an seinen Platz zurücklegen, als die mädchenhafte Schrift sie neugierig machte, eine Schrift, wie ihre Tochter Laura sie gehabt hatte. Nicht die gleiche, nein, das sah sie sofort, aber von der Art her ähnlich. Der Brief begann ohne Anrede, aber er war an Innocento gerichtet und drückte Sehnsucht aus. So ungeschliffen und fehlerhaft der Stil auch war, so aufrichtig waren die Worte. Der junge Kardinal fehlte einer ebenso jungen Frau wohl sehr.
Sie hatte nie daran gedacht, dass Innocento eine Geliebte haben könnte. Viele Geistliche hatten eine Geliebte, insofern hätte sie diese Tatsache nicht überraschen dürfen, doch sie hatte diese Möglichkeit übersehen – absichtlich übersehen. Sie wollte nicht, dass er eine Geliebte hatte, noch dazu eine, die ihm leidenschaftliche Briefe schrieb; sie wollte nicht, dass er einen Hund hatte, der neben seinem Bett schlief und ihn freudig begrüßte, wenn er zur Tür hereinkam.
Es war notwendig gewesen, diesen Raum zu betreten, aber es war ein Fehler, sich hier länger aufzuhalten. Die Wärme, die Sonne, ein Lederball, das Gähnen eines Hundes, das Rascheln eines Liebesbriefes: Das alles waren Kleinigkeiten, die sich zwischen ihr und der Rache aufschichteten und – je mehr es wurden – zu einer Mauer erhöhten. Jetzt schon stellte sie sich die Frage, ob es richtig war, jemanden zu töten, der ihr nichts getan hatte, der Ball spielte, geliebt wurde, vermisst wurde, der unschuldig an ihrer Tragödie war und diese Unschuld sogar, wie ein Fingerzeig des Himmels, im Namen trug.
»Verdammter Hund«, sagte sie, wobei sie das Tier nachsichtig anblickte.
»Verdammter Brief!« Rasch legte sie das Papier zur Seite.
Da sah sie inmitten des Teppichs von Briefen und Pergamenten das gestempelte Siegel des Papstes aufleuchten, das Wappen des Papstes. Und tatsächlich: Julius III. schrieb seinem Sohn. Es waren persönliche Zeilen. Schon die Anrede » Mein geliebter Innocento « war ein deutlicher Hinweis, dass hier nicht der Papst schrieb, sondern der Vater.
Ich bitte dich noch einmal: Sieh dich vor. Wieso habe ich dich bloß nach Trient gehen lassen? Deine kleine Aufgabe hätte ich anderen aus meiner näheren Umgebung übertragen können. In Rom konnte ich dich
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