Die Glaszauberin pyramiden1
gelächelt. Boaz mußte sich wie belagert fühlen.
Holdat kehrte mit einer kleinen Schale zerdrückter Früchte zurück, wie sie Mütter ihren Kleinkindern zu essen geben. Mit etwas Sirup verdünnt waren sie fast zu Brei geworden. Er lächelte mich an, dann ging er.
Boaz fütterte mich. Ich wollte seine Hand wegstoßen, er machte eine gereizte Geste, und so ließ ich ihn weitermachen. Vielleicht linderte das seine Schuldgefühle.
Ich aß das Obst auf, ein wenig überrascht, daß mein Magen nicht rebellierte.
»Wir müssen uns unterhalten«, sagte er.
»Wenn Ihr wollt, Exzellenz.«
»Hör auf damit, mich in diesem Tonfall Exzellenz zu nennen!« fauchte er.
»Wie soll ich Euch dann anreden? Wieviel Freundlichkeit soll ich denn Eurer Ansicht nach in meine Stimme legen?«
»In diesem Raum darfst du mich Boaz nennen. Draußen sprichst du mich mit Exzellenz an. Aber wenn du nicht etwas Respekt in deine Stimme legen kannst, würde ich es vorziehen, wenn du mich gar nicht ansprichst.«
»Ich erinnere mich, daß Ihr mich schon einmal gebeten habt, Euch Boaz zu nennen – in diesem Bett. Am nächsten Morgen habt Ihr mich für diese Anmaßung Todesqualen leiden lassen.«
Das ließ ihn verstummen. Dann… »Ich hatte Angst. Ich war…«
»Du warst ehrlich dir selbst gegenüber gewesen, Boaz. Ehrlich genug, um mich etwas von dem Mann sehen zu lassen, der du wirklich bist. Aber ich glaube, wenn du in Zukunft so ehrlich sein willst, würde ich es vorziehen, anderswo zu sein. Noch einen Angriff von dir werde ich nicht überleben.«
»Wenn du willst, daß ich aufhöre, dir wehzutun«, erwiderte er, »dann hör auf, mir einen Grund dafür zu liefern!«
»Was? Es hat dich niemand gezwungen, mir dieses Buch zu zeigen! Es hat dich niemand gezwungen, mir…«
»Was hast du dir nur dabei gedacht, mitten in der Pyramide mir diese Dinge an den Kopf zu werfen?«
»Ich war gerade Zeugin geworden, wie mein Vater einen Tod starb, den nicht einmal der schlimmste Verbrecher erleiden sollte. Ich habe zugesehen, wie elf Männer einen solchen Tod starben, ganz zu schweigen von den anderen, die vorher schon gestorben sind. Mein geliebter Vater hat mich angefleht, ihn zu retten, und ich konnte es nicht. Und du hast nur die Macht der Pyramide bewundert. Ich…«
»Hätte ich dich noch mehr sagen lassen, hätte die Pyramide keinen von uns am Leben gelassen.«
»Hättest du dort zugegeben, daß ich recht habe, hätte uns die Pyramide bestimmt nicht am Leben gelassen«, erwiderte ich leise.
Er warf mir einen finsteren Blick zu, dann stand er auf; der Stoff seines Gewandes rauschte ärgerlich. Er setzte sich wieder an den Schreibtisch, nahm die Feder und fuhr fort zu schreiben.
Die Feder kratzte unentwegt über den Papyrus. Auf und ab. Der Abend wurde zur Nacht. Holdat kam und holte das Tablett, aber diesmal lächelte er nicht.
Kratzte auf und ab, in einem fort.
Schließlich warf Boaz die Feder hin und bedeckte sein Gesicht mit den Händen. Er saß ein paar Minuten so da, dann erbebten seine Schultern, und er stand auf.
Ich rechnete damit, daß er zu mir kam, aber er begab sich zu dem Regal und nahm den Froschkelch. Er stand da, betrachtete ihn, schließlich kam er doch zu mir.
»Ich habe mehr als acht Tage hier gesessen und diesen Kelch in Händen gehalten«, sagte er, den Blick auf das Glas gerichtet. »Wenn Kiamet mir die Nachricht deines Todes überbrachte, wollte ich ihn hochheben und an der Wand zerschmettern. Ich glaubte, das würde meinen Schmerz lindern.
Aber als Kiamet dann kam, mit eingefallenen Augen und einer so grauen Haut, als hätte er selbst diese acht Tage in der Zelle verbracht, und sagte: ›Exzellenz, ich glaube, sie ist tot‹, da glaubte ich durch meinen Schmerz die Frösche aufschreien zu hören.«
»Was haben sie gesagt, Boaz?«
Er holte tief Luft und erwiderte meinen Blick. Ich glaube nicht, daß ich jemals in den Augen eines anderen Menschen eine solche Qual gesehen habe. »Sie sagten: Umarme sie, tröste sie, liebe sie, umarme sie, tröste sie, schütze sie, liebe sie. Und…« Er brach ab und sammelte sich. »Und ich stellte den Glaskelch behutsam ab und eilte zu dir. Tirzah…«
Er stellte den Kelch auf den Tisch, und er legte sich an meine Seite und nahm mich in die Arme. »Tirzah, das ist alles, was ich jemals wirklich wollte. Dich zu umarmen, zu trösten, zu hüten, zu lieben. Alles, was ich je wollte.«
»Du hast die Frösche gehört?« fragte ich.
Er antwortete nicht.
»Boaz«, sagte ich
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