Die Glaszauberin pyramiden1
schließlich, »es gibt andere Wege, Macht zu erlangen, als die Eins und die Pyramide sie bieten.«
Wenn ich weiterleben durfte, dann würde ich mein Versprechen an die Soulenai nicht länger hinausschieben.
»Tirzah, ich werde mich nicht kindlichen Phantasien hingeben.« Sein Tonfall war jetzt hart, und ich fühlte, wie sich sein Körper versteifte. Dann jedoch zwang er etwas Humor in seine Stimme. »Wie ich sehe, waren meine vielen Predigten über die Eins doch umsonst.«
»Zahlen und starre Parameter besitzen nicht die Schönheit, nach der ich mich sehne«, sagte ich leise. »Wenn du willst, erzähle ich dir eines Tages, wie ich die Welt verstehe.«
Er dachte darüber nach, dann wandte er sich abrupt von mir ab und setzte sich auf. »Eines Tages, Tirzah. Aber nicht heute. Ich will es jetzt nicht wissen.«
Er nahm den Becher mit Isphets Kräutertrank und schenkte etwas ein… in den Froschkelch. »Komm jetzt, es ist Zeit, daß du schläfst.«
Ich lächelte, als das Glas meine Lippen berührte (laß uns dich umarmen, trösten, lieben), dann trank ich gehorsam. Ein traumloser Schlaf würde schön sein. »Boaz?«
»Hmmm?«
»Warum berührt die Kammer zur Unendlichkeit das Tal?«
Er versteifte sich, zog sich aber nicht in sich zurück. »Woher weißt du das?«
»Du hast mich lesen gelehrt.«
»Ach ja, nun gut.« Er dachte darüber nach. »Das Tal enthält die Macht, die wir brauchen.«
»Es ist eine finstere Macht. Bestimmt haben die Todesfälle… die Art und Weise der Todesfälle dir das gezeigt. Weißt du, was du da tust?«
Ich hatte mich zu weit vorgewagt. »Nichts wird mich von der Pyramide abbringen, Tirzah. Keine kindischen Hoffnungen, nicht Mythen noch Legenden. Nichts. Ich habe den größten Teil meines Lebens auf dieses Ziel hingearbeitet. Ich werde meinen Traum auch jetzt nicht aufgeben.«
Dann schwieg er, aber er saß bei mir, bis ich einschlief.
Am Morgen ging er zurück zur Pyramide.
24
Die Pyramide war meine Nebenbuhlerin, die Geliebte, mit der ich nicht mithalten konnte. Im Verlauf der nächsten Tage versuchte ich ganz sanft und behutsam, Boaz zu der Einsicht zu bewegen, daß die Pyramide eine Bedrohung darstellte, ihn dazu zu bringen, daß er es zugab, aber er weigerte sich. Die Pyramide war der Gipfel, die Erfüllung allen Machtstrebens. Er behauptete, ich könne nicht verstehen, welche Macht sie über die Magier bringen würde, und deshalb würde er auch nicht erst versuchen, mir zu erklären, worin sie bestand.
Nachdem ich leidlich sicher war, daß Boaz mich nicht mehr umbringen würde, ergriff ich jede Gelegenheit über all das zu sprechen, was zuvor verboten gewesen war. Natürlich war ich auch weiterhin vorsichtig. Ich benutzte das Wort »Elementist« nie, aber ich bat ihn, mir von seiner Mutter zu erzählen, was sie ihm über seinen Vater berichtet hatte, und ob er je andere Geschichten über die Soulenai gehört hatte. Ich erzählte ihm von meiner Liebe zu Glas, und auch wenn ich nie direkt sagte, daß es mir etwas zuflüsterte, kam ich dem doch gefährlich nahe. Ich fragte ihn immer wieder, was die Frösche denn zu ihm »gesagt« hatten, und während er mich in jeder Nacht in seinen Armen hielt, bis der Schlaftrunk wirkte, bat ich ihn immer wieder, mir diese Worte zu wiederholen.
Boaz ertrug das alles mit unterschiedlicher Geduld… oder Ungeduld. Manchmal ließ er mich links liegen, oft besuchte er die Pyramide. Manchmal befahl er mir, endlich zu schlafen – und einmal flößte er mir völlig verzweifelt den Schlaftrunk ein, damit ich den Mund hielt. Manchmal ließ er mich auch reden, während er am Schreibtisch saß, und manchmal redete auch er.
Ich glaube, in den drei oder vier Tagen, nachdem ich aus der Zelle herausgebracht worden war, hatte Boaz eine Entscheidung getroffen. Meiner Meinung nach hätte sie weiterreichen können, aber er machte sich selbst gegenüber doch große Zugeständnisse. Er gestand sich ein, daß seine wahre Natur nicht der kalten, berechnenden Magiermaske entsprach, die er der Welt zeigte. Er besaß Wärme und Humor, und er bestritt das nicht länger. Er hatte mich in seine Residenz befohlen, und dann hatte er mich in sein Bett gebeten, aber nicht, um nur meinen Körper zu besitzen, sondern um mich zu lieben. Soviel gab er zu. Seine andere Hälfte als Magier würde lernen müssen, damit umzugehen. In meiner Gegenwart würde er immer er selbst sein und nicht von mir erwarten, daß ich so tat, als würde ich jemand anderen sehen
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